6. September 2003
Unabhängiger Bericht von Kate Saunders, ks@insidetibet.net

Pläne für die Strasse um den Mount Kailash von Geheimnis umwittert

Die Tibeter, die in der Umgebung des Mount Kailash leben, wurden von den Behörden davor gewarnt, über die geplante Straße um den heiligen Berg zu sprechen. Der Kailash ist ein bedeutender Wallfahrtsort für Buddhisten, Bön-Gläubige, Jains und Hindus. Wie verlautet, sind die Vermessungsarbeiten für die Straße mittlerweile abgeschlossen. Es wurden Steine markiert und Pfosten aufgestellt, um den Verlauf der Straße zu kennzeichnen, und nächsten April soll mit dem Bau begonnen werden. Unsere Informanten, welche vor kurzem in der Gegend waren, berichten, die Tibeter machten sich große Sorgen wegen des Straßenbauvorhabens, das vermutlich Teil eines ehrgeizigen Erschließungsprojekts ist, um mehr chinesische und ausländische Touristen zum Berg Kailash in der Präfektur Ngari (chin: Ali), TAR, zu locken.

Wie ein westlicher Besucher, der seit zehn Jahren häufig in der Gegend unterwegs ist, berichtete, wurden Yak-Hirten, Bauern und andere dort ansässige Tibeter, die sich bei den lokalen Behörden über die Pläne beschwert hatten, davor gewarnt, mit Ausländern oder anderen Kailash-Pilgern über die Straße zu sprechen. "Mir gegenüber bezeichneten die Tibeter die Straße als eine Katastrophe", berichtete der Reisende. "Sie sind sehr besorgt, denn der Kailash, den die Tibeter Kang Rinpoche nennen, ist ein überaus heiliger Ort, und die Landschaft ist noch so unverdorben. Der Sinn der Pilgerfahrt besteht eben darin, die anstrengende 56-km-Umrundung zu Fuß auf sich zu nehmen". Es ist nicht klar, ob die Pläne für das Projekt auf eine Initiative der Präfektur Ngari zurückgehen oder ob sie von höherer Ebene gefördert werden.

Der Bau einer Straße dürfte aufgrund der geographischen Lage, der Abgelegenheit des ganzen Gebietes und vor allem der großen Höhe schwierig werden; der Dolma-la-Pass auf der Umrundungsroute ist 5636 m hoch gelegen. Das Straßenbauprojekt steht vermutlich mit weiteren Erschließungsplänen für die Gegend in Verbindung. Einem unserer Informanten zufolge diskutieren die örtlichen Behörden häufig die Möglichkeit zur Eröffnung einer Luftlinie für Touristen von Lhasa nach Ali, einer Stadt, die annähernd 250 km oder eine Tagesfahrt entfernt im Nordwesten des Kailash gelegen ist. Theoretisch könnten die Touristen also in weniger als zwei Stunden von Lhasa dorthin fliegen, den Berg per Fahrzeug umrunden und ein paar Tage später wieder in der Hauptstadt zurück sein. Bis jetzt braucht man für die Fahrt von Lhasa zum Kailash mindestens drei bis vier Tage. Ein westlicher Reiseveranstalter, der Touren zum Kailash veranstaltet, meint: "Diese Pläne berücksichtigen weder den Umstand, daß ein Besuch in dieser Höhenlage ohne vorherige Akklimatisation ein lebensgefährliches Risiko darstellt, noch den Status des Kailash als heiligen Berg für die Gläubigen mehrerer Religionen. Eine solche Straße würde ohne Zweifel die gesamte kora (die Umrundung, welche die Pilger absolvieren) verändern. Die Tibeter betrachten den Berg als Gottheit, und die spürbare Atmosphäre der spirituellen Hingabe macht die kora, besonders während der religiösen Feste, zu einem großartigen Erlebnis".

Die Tibeter glauben außerdem, daß sie durch die Umrundung des Kailash spirituelle Verdienste erwerben. Der westliche Tourist sagte hierzu: "Die Tibeter amüsieren sich über Hindus, welche die äußere kora mittels Yaks vollziehen und sagen, dies sei zwar eine heilige Erfahrung für den Yak, aber nicht für den Pilger. Ebensowenig glauben die Tibeter, daß ein Pilger spirituelle Verdienste erwerben kann, wenn er im Auto um den Berg fährt".

Am Kailash entspringen vier der Hauptflüsse Asiens, darunter der spätere Brahmaputra in Indien. Die Tibeter nennen diesen Berg "kostbares Schneejuwel", während er für Hindus der Sitz des Gottes Shiva ist. Die meisten Tibeter vollenden die Umrundung innerhalb eines Tages, wofür sie bei Tagesanbruch aufbrechen müssen. Westliche Touristen brauchen im allgemeinen zwischen drei und fünf Tagen für die kora. Mittlerweile interessieren sich auch immer mehr chinesische Touristen für religiöse Pilgerfahrten und besuchen den Kailash.