Juli 2006
Human Rights Update
Juli 2006
Inhalt



Version in pdf

1.      Manuskript bringt einem Tibeter zehn Jahre Gefängnis ein
2.      Ungünstige Bildungspolitik treibt tibetische Mädchen in die Prostitution
3.      Biographie des ehemaligen politischen Gefangenen Lhade Namloyag
4.      Lhundup Sangmo, eine der “14 singenden  Nonnen von Drapchi” im Exil angelangt
5.      Ein Tibeter bei der Flucht ums Leben gekommen, zwei vermißt
6.      EP-Präsident nach Abschluß seines Chinabesuchs weiter besorgt über Tibet
7.      EU verurteilt Verletzung von Menschen- und religiösen Rechten in Tibet
8.      Tibeter wegen winziger tibetischer Flagge zu vier Jahren Haft verurteilt
9.      Acht Jahre Haft für tibetischen Mönch
10.    Geächtete tibetische Autorin gelobt Gegenwehr

Manuskript bringt einem Tibeter zehn Jahre Gefängnis ein

Einer dem TCHRD zugegangenen bestätigten Information zufolge wurde der 29jährige Tibeter Dolma Kyab zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er ein kommentiertes Manuskript zu Tibet verfaßt hatte. Er ist derzeit im Gefängnis Chushul (chin. Qushui) in der Autonomen Region Tibet (TAR) inhaftiert.

Dolma Kyab, alias Lobsang Kelsang Gyatso (Pseudonym), wurde am 9. März 2005 in Lhasa festgenommen, wo er in einer Mittelschule Geschichte unterrichtete. Da er sich gerne schriftstellerisch betätigt, führte er eine Art von Kommentar zu seinem Unterricht auf Chinesisch mit dem Titel „Der Himalaya in Bewegung“ (chin. sao dong de Ximalayashan), bei dem es sich um eine Zusammenstellung von 57 Kapiteln über verschiedene Themen wie Demokratie, die Souveränität Tibets, Tibet unter dem Kommunismus, Kolonialismus, Religion und Glaube usw. handelt. Neben diesem begann er einen weiteren Kommentar über die geographischen Aspekte Tibets zu schreiben, der verhältnismäßig kurz ist, jedoch heikle Themen über die Lage und Anzahl chinesischer Militärbasen in dem chinesisch besetzten Tibet enthält.

Nach seiner Festnahme im März 2005 kam Dolma Kyab zuerst in das Haftzentrum des Public Security Bureau der TAR, das bei den Tibetern unter dem Namen Seitru bekannt ist. Am 16. September 2005 wurde er vor dem Mittleren Volksgericht von Lhasa ungerechterweise der „Gefährdung der staatlichen Sicherheit“ angeklagt und zu einer Haftstrafe von 10 Jahren verurteilt. Obwohl seine Angehörigen an das Gericht appellierten und um eine erneute Verhandlung baten, bestätigte dieses sein Urteil am 30. November. Nach dem Urteilsspruch sollte Dolma Kyab in das gerade in Betrieb genommene Gefängnis Chushul verlegt werden. Die Gefängnisleitung wollte den Gefangenen jedoch nicht zulassen, weil er in der Untersuchungshaft an Tuberkulose erkrankt war. Nachdem seine Krankheit behandelt worden war, wurde er im März 2006, kurz nach dem tibetischen Neujahr, endgültig nach Chushul transferiert, wo er seitdem einsitzt.

Das Tibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie ist sehr besorgt um Dolma Kyab und bittet Menschenrechtsgruppen und die internationale Gemeinschaft um ihre Unterstützung bei dem Bestreben, die baldige Freilassung Dolma Kyabs zu erreichen. Das Zentrum erachtet diesen Fall als einen direkten Angriff auf die Freiheit der Meinung und Meinungsäußerung in Tibet. Letztere ist als ein Grundmenschenrecht Voraussetzung für die Wahrnehmung aller anderen Menschenrechte. Der Art. 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verkündet: „Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“ 

Das Zentrum ruft den UN Sonderberichterstatter für die Förderung und den Schutz des Rechtes auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung, Ambeyi Ligabo, sowie die UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur) auf, bei der chinesischen Regierung für Dolma Kyab zu intervenieren.

Hintergrund: Dolma Kyab, alias Lobsang Kelsang Gyatso, wurde 1976 als Sohn von Khetsun und Dolma in dem Dorf Ari, Distrikt Chilen (chin. Qilian), TAP Tsojang, Qinghai, geboren. 1984 kam er auf die örtliche Grundschule und später besuchte er die Distrikt-Mittelschule. Nach Abschluß seiner Schulbildung trat er 1995 in ein Lehrer-Ausbildungsinstitut ein und arbeitete danach als Lehrer an einer Mittelschule im Distrikt Chilen. Später schrieb er sich in der Universität Peking ein, um seine Studien fortzusetzen.

2003 kam er nach Indien, wo er Englisch und Hindi lernte, kehrte jedoch im Mai 2004 nach Tibet zurück. Von da an wirkte er bis zu seiner Verhaftung als Geschichtslehrer an einer Mittelschule in Lhasa. 

Ungünstige Bildungspolitik treibt tibetische Mädchen in die Prostitution

Dank der anhaltenden Bemühungen Chinas, die tibetische Region zu entwickeln und modernisieren, verwandelt sich Lhasa, die Hauptstadt Tibets, die einst ein geheiligter buddhistischer Wallfahrtsort war, immer mehr in ein Eldorado der Prostitution. Die Zunahme des fleischlichen Gewerbes bleibt den Augen von Außenstehenden raffiniert verborgen. Die vorgeblichen Friseursalons und Bars verwandeln sich nachts in Bordelle. Die Prostituierten sind in der Regel zwischen 16 und 40 Jahren alt, es gibt aber auch jüngere. Auf Grund unzureichender Bildung und fehlender beruflicher Qualifikation gehen sie in der Hoffnung, daß ihnen das so verdiente Geld eine bessere Zukunft ermöglicht, in die Prostitution. In den Bordellen findet man sowohl chinesische als auch tibetische Frauen, wobei Chinesinnen besser bezahlt werden als Tibeterinnen.

Die Gründe für den Boom im Sexgeschäft dürften in Chinas Modernisierungsmanie, sowie in der Anwesenheit eines starken Militärkontingents liegen, denn die Soldaten kommen ohne ihre Familien nach Lhasa, und Entwicklungsprojekte wie die Golmud-Lhasa-Eisenbahn haben eine große Zahl chinesischer Siedler nach Tibet gebracht.

Die aus Lhasa stammende 25jährige Namdrol Lhamo, die vor kurzem im Exil eintraft, befürchtet, daß der massive Zustrom von Han-Chinesen, die sich vor allem in Lhasa und Umgebung niederlassen, zu zahlreichen soziologischen Veränderungen führen wird, wobei sie den Verfall der traditionellen ethischen Werte des tibetischen Volkes für am bedenklichsten hält.

Namdrol Lhamo absolvierte die 12. Klasse, konnte jedoch keine höhere Bildung erwerben, da sie den geforderten Notendurchschnitt um 5% verfehlte. Sie berichtet: “In allen von der Regierung geführten Schulen müssen die Schüler von der Grundstufe an sich hauptsächlich darum bemühen, die chinesische Sprache zu erlernen. Wer kein Chinesisch beherrscht, wird nur schwerlich eine Stelle finden, auch wenn er sonst gute Examensnoten vorweisen kann. Wer keine guten Noten in Chinesisch hat, wird nicht zum weiterführenden Studium zugelassen”. Der Hauptgrund, weshalb Namdrol keinen Studienplatz bekam, war, daß sie die erforderliche Note in Chinesisch knapp verfehlt hatte. Vielen jungen Tibetern in Tibet geht es ähnlich wie ihr, sie können ihre Ausbildung nicht fortsetzen und leben ohne Zukunft. Für eine gute Stelle fehlen ihnen die notwendigen Qualifikationen, und sie sehen sich daher gezwungen, Gelegenheitsjobs in Hotels, Gästehäusern, Restaurants, Diskotheken, Bars und Bordellen anzunehmen, denn es bleibt ihnen keine andere Alternative, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Nachdem Namdrol bei der Aufnahmeprüfung durchgefallen war, nahm sie einen Job in einem Hotel in Lhasa an, wo sie fast vier Jahre lang arbeitete. Sie berichtete: “Der Eigentümer des Hotels ist Tibeter und er hat annähernd 140 Angestellte, in der Mehrzahl ebenfalls Tibeter. Die meisten von ihnen haben die Mittelschule besucht, konnten aber nicht weiterlernen, weil sie die ungeheuer hohen Schulgebühren nicht bezahlen konnten. Ein paar hätten sich die Gebühren zwar leisten können, erreichten aber nicht den erforderlichen Notendurchschnitt. Stellenbewerber für Restaurants, Hotels, Tanzbars, Reisebüros und Clubs mit Mittelschulabschluß und ordentlichen Chinesischkenntnissen entsprechen in der Regel dem von der chinesischen Regierung festgelegten Anforderungsprofil. Bewerber ohne chinesische Sprachkenntnisse werden in dieser Sparte keine Stelle finden, denn jeder, der sich dort um einen Arbeitsplatz bewirbt, muß eine Chinesischprüfung ablegen”.

Die meisten Arbeitskräfte in den Hotels sind tibetische Mädchen, hauptsächlich aus Lhasa. Tibetische Mädchen aus Kham, Amdo oder von außerhalb Lhasas finden selten Anstellung in einem Hotel oder Restaurant, weil ihre Chinesischkenntnisse nicht gut genug sind. Da sie keine andere Möglichkeit sehen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, gehen sie der Prostitution nach, und täglich steigt die Zahl solcher Mädchen. Die meisten Bordelle sind im Besitz von Chinesinnen, und viele tibetische Mädchen eifern den chinesischen Prostituierten nach und wählen das Sexgewerbe, um sich über Wasser zu halten. Von außen betrachtet fallen tibetische Bordelle nicht auf, an ihrer Eingangstür steht “Bod-sod” (wörtlich: “Made in Tibet”), und drinnen wird Bier ausgeschenkt. Zahlreiche junge tibetische Männer besuchen die Bordelle, und die meisten Tour Guides für ausländische Touristen gehören ebenfalls zu den Stammgästen, denn sie haben gewöhnlich mehr Geld als andere Tibeter. In den Bordellen trinken sie Bier und nehmen danach die Prostituierten in ihr Hotel mit. Diese jungen Männer verschwenden auf diese Weise ihr hart verdientes Geld.

Da für den Bierausschank und das florierende Sexgeschäft reichlich Steuern gezahlt werden, schränkt die Regierung sie in keiner Weise ein. So können die Bordelle, Nachtclubs und Tanzbars ungestört ihren Geschäften nachgehen, ohne Schwierigkeiten mit den Behörden befürchten zu müssen. Infolgedessen ist die Zahl der Bordelle in Lhasa in den vergangenen Jahren rapide angestiegen. Die in den Bordellen beschäftigten Tibeterinnen sind zwischen 16 und 40 Jahren alt, und ihre Anzahl wächst von Tag zu Tag. Die neue Eisanbahnlinie, die China mit Lhasa verbindet und den massiven Zustrom weiterer chinesischer Migranten nach Lhasa ermöglicht, wird ganz gewiß zur Zunahme der chinesischen Prostituierten in Tibet führen. Vor der Besetzung Tibets gab es in Lhasa praktisch keine tibetischen Prostituierten. Infolge des Zustroms chinesischer Siedler nach Tibet seit der Invasion floriert das Sexgeschäft heutzutage vor allem in Lhasa enorm.

Diese Branche führt in mannigfaltiger Weise zum Verfall des gesellschaftlichen Lebens. Chinesische Immigranten bieten älteren Tibetern immense Beträge im Austausch für junge Mädchen an. Diese älteren Tibeter überlisten dann die jungen Mädchen vom Land und bringen sie in die Städte, wo sie der Prostitution nachgehen müssen. Durch das reichliche Angebot an Prostituierten lassen sich Familienväter dazu verleiten, immer mehr Zeit und Geld mit ihnen zu verschwenden, so daß ihre Familien schließlich zerbrechen. Namdrol Lhamo hat viele derartige Fälle miterlebt, während sie in einem Hotel in der Präfektur Shigatse arbeitete.

Derzeit gibt es in Lhasa und Shigatse keine behördlichen Restriktionen für die Prostitution in Hotels und Gästehäusern. Paare, die ein gemeinsames Hotelzimmer buchen wollen, müssen allerdings ein Heiratszertifikat vorlegen. Der Betrieb von Bordellen, Bars und Nachtclubs wird von der Regierung nicht eingeschränkt, ebensowenig der Gebrauch von Drogen. Namdrol Lhamo ist überzeugt, daß der massive Zustrom chinesischer Siedler nach Tibet der Hauptgrund für die Zunahme von käuflichem Sex ist und zum Zerfall der ethischen Werte und zur Dekadenz der tibetischen Gesellschaft führen wird.

Biographie des ehemaligen politischen Gefangenen Lhade Namloyag

Lhade Namloyag (Pseudonym Dongsay oder Melnu) wurde am 10. Januar 1970 in einer Nomadenfamilie im Distrikt Tsigorthang/Zhinghe (chin. Xinghai), TAP Tsolho, geboren. Zwischen 1981 und 1989 besuchte er die Sa-sNa-Grundschule, und danach setzte er seine Ausbildung an der Mittelschule für nationale Minderheiten und schließlich am Nationalitäten-Ausbildungsinstitut für Lehrer fort. 1992 schrieb er sich am Höheren Nationalitäten-Ausbildungsinstitut für Lehrer der Provinz Qinghai ein, wo er sich in Tibetisch und Chinesisch spezialisierte. Er war auch ein Jahr in der lehramtsbezogenen Forschung tätig.

1990 schmiedete Lhade Namloyag gemeinsam mit einigen Studienkollegen Pläne, um geheime Dokumente und eine tibetische Landkarte aus dem Land zu schmuggeln. Das Public Security Bureau von Qinghai erfuhr jedoch von seinem Vorhaben, und 1993 wurde Namloyag zusammen mit zwei Freunden verhaftet.

Am 28. Juli 1994 verurteilte der Mittlere Volksgerichtshof von Tsonub (chin. Haixin) Lhade Namloyag wegen Organisierens einer „geheimen konterrevolutionären Gruppe“ und „Spionage“ zu 12 Jahren und seine Freunde Lhukar Jam und Tsegon Gyal zu 16 bzw. 17 Jahren Haft. Wegen der unfairen Gerichtsverhandlung legten sie Berufung ein, die jedoch zurückgewiesen wurde. Danach kamen sie ins Ter-len-ka-Gefängnis, Provinz Qinghai. Die tibetische Regierung-im-Exil und diverse Tibet-Unterstützergruppen brachten ihren Fall auf internationaler Ebene vor und appellierten an die chinesische Regierung, das Urteil zu revidieren. Infolge des internationalen Drucks wurden Lhade Namloyag und sein Freund Tsegon Gyal am 14. November 1997 freigelassen. Sie hatten viereinhalb Jahre im Gefängnis gesessen, und wurden während ihrer Haft häufig auf unmenschliche Weise gefoltert. Trotz der vorzeitigen Entlassung konnte Lhade Namloyag in Tibet kein normales Leben mehr führen. Deshalb floh er Anfang 1999 ins Exil.

Zwischen 1999 und 2005 war er beim Recherche- und Analysesektor der Sicherheitsabteilung der Central Tibetan Administration tätig. Gleichzeitig fungierte er als Sicherheitsbeamter bei zahlreichen Belehrungen Seiner Heiligkeit des Dalai Lama und des Gyalwa Karmapa. Seit April 2005 arbeitet er als Rechercheur für das ICT-Büro in Dharamsala. Zudem übersetzte er zahlreiche Texte ins Tibetische und Chinesische und gab auch Bücher in diesen Sprachen heraus.

Lhundup Sangmo, eine der “14 singenden  Nonnen von Drapchi” im Exil angelangt

Zwei der berühmten “14 singenden Nonnen von Drapchi”, die während ihrer Haft im berüchtigten Drapchi-Gefängnis insgeheim Lieder aufnahmen, in denen sie den Dalai Lama verehrt und die Unabhängigkeit Tibets gefordert hatten, sind am 3. Juni 2006 im tibetischen Empfangszentrum in Dharamsala eingetroffen. Die 39 Jahre alte Lhundup Sangmo stammt aus der Gemeinde Gachoe, Kreis Phenpo Lhundrup, Bezirk Lhasa, TAR. Sie gehörte dem im Südwesten Lhasas gelegenen Kloster Michungri an. In ihrer Kindheit hatte sie keinen Zugang zu irgendeiner Form von Bildung.

Sie berichtete dem TCHRD: “Weil meine Familie sehr arm war, wurde ich mit neun Jahren zu einem Verwandten nach Lhasa geschickt, um ihm im Haushalt zu helfen, und ich blieb dort bis zu meinem 19. Lebensjahr. Wie ich es mir gewünscht hatte, wurde ich mit 20 Jahren im Kloster Michungri zur Nonne ordiniert und ging in den folgenden zwei Jahren meinen buddhistischen Studien nach.

Also stiegen wir neun aus Michungri sowie fünf weitere Nonnen aus dem Kloster Guru beim Shoton Festival (Joghurt-Fest) in Lhasa auf eine Bühne, wo gerade die Norbulingka Opern-Show stattfand, und fingen an, Parolen für die Unabhängigkeit zu rufen.

Minuten später stürmten PSB-Beamte auf die Bühne, nahmen uns fest, warfen uns in ihre Fahrzeuge und brachten uns geradewegs ins PSB-Haftzentrum der Stadt Lhasa, das allgemein als die Gutsa-Haftanstalt bekannt ist. Dort wurden wir in getrennte Zellen gesperrt und zweimal am Tag jeweils zwei Stunden lang verhört. Während der Verhöre wurden wir schwer und unmenschlich gefoltert, z.B. durch Schläge auf den Körper mit elektrischen Schockgeräten und Knüppeln. Manchmal holten die Wachen bissige Hunde, die sie auf uns losließen. Auch Würgen gehörte zu den unmenschlichen Foltermethoden, die sie bei uns anwandten.

Nach zwei Monaten in Gutsa wurden wir vom Mittleren Volksgerichtshof Lhasa zu unterschiedlich langen Haftstrafen zwischen drei und neun Jahren verurteilt. Ich bekam vier Jahre. Ich erinnere mich noch an die Namen meiner Leidensgenossinnen aus Michungri. Sie hießen Karma Trinley, Tenzin Thupten, Lobsang Choedon, Tenzin Ngawang, Gyaltsen Lungrik, Lobsang Choeden und Gyaltsen Choedon. Die Namen der fünf Nonnen aus dem Kloster Garu waren Ngawang Sangdrol, Gyaltsen Dolkar, Gyaltsen Lhaksang, Gyaltsen Choezom und Gyaltsen Monlam. Nach dem Urteilsspruch wurden wir ins Gefängnis Drapchi verlegt und kamen dort in die Einheit Nr. 3. Wir mußten auf den Gemüsefeldern des Gefängnisses arbeiten oder weben, wir wurden auch zuweilen nach Lhasa gefahren, um dort Toiletten zu schrubben. Wir mußten nicht nur ständig schwere Arbeiten verrichten, sondern wurden zudem noch regelmäßig von den Wachen geschlagen.

Während des tibetischen Neujahrsfests am 5. März 1992 entledigten sich alle politischen Gefangenen ihrer Häftlingskleidung und zogen ihre eigenen Kleider an. Das Gefängnispersonal und die Bewaffnete Volkspolizei betrachteten unsere Tat als eine politisch motivierte grobe Verletzung der Anstaltsordnung und prügelten mit Elektro-Schlagstöcken und Gürtelschnallen auf uns ein. Trotz dieser brutalen Mißhandlung gaben wir nicht nach und trugen am nächsten Tag wieder unsere Zivilkleidung. Mit unvorstellbaren Folterungen und Schlägen zwangen sie uns schließlich zum Wiederanlegen der Häftlingsuniformen. Chungdak, Phuntsok Pema und Dawa Dolma wurden wegen dieses Vorfalls mit drei Monaten Einzelhaft bestraft.

Gemeinsam mit 13 anderen Nonnen nahm ich im Mai 1993 auf einem in unsere Zelle geschmuggelten Kassettenrekorder Lieder auf, in denen wir Unabhängigkeit für Tibet forderten und den Dalai Lama lobten und priesen. Jede von uns nahm auch ein Solostück auf. Am zweiten Tag der Aufnahmen erfuhren die Wachen davon, stürmten in unsere Zelle und beschlagnahmten das Gerät. Als sie herausfanden, daß es von einer Strafgefangenen stammte, schlugen sie die Frau brutal zusammen und steckten sie in Einzelhaft. Nachdem sie uns wegen der Liedtexte verhört hatten, wurden wir am 14. Oktober 1993 in die Gefängnishalle befohlen, wo sie uns die Verlängerung unserer Haftstrafen verkündeten. Die Strafe von Dawa Yankyi wurde um neun Jahre verlängert, während Phuntsog Nyidron, Gyaltsen Dolkar und Ngawang Choekyi mit einer Verlängerung um acht Jahre, Namdrol Lhamo und Ngawang Sangdrol um sechs Jahre, und Ngawang Tsamdrol, Penpa Chonzom, Palden Choedron, Ngawang Lochoe, Jigme Yangchen, Rigzin Choekyi, Ngawang Chonzom und ich mit weiteren fünf Jahren Haft bestraft wurden. Meine Strafe betrug somit insgesamt neun Jahre.

Da die Zahl der weiblichen Gefangenen immer mehr zunahm, teilte uns die Gefängnisleitung im Juli 1994 auf zwei Zellblöcke auf, die als Einheit Nr. 3 für “neue” und Nr. 4 für “alte” Gefangene bezeichnet wurden. Der Hauptgrund dafür war, daß der Kontakt zwischen den alten und den neuen Gefangenen unterbunden werden sollte.

Im April 1996 warfen die Wachen einigen Gefangenen vor, sie würden gegen die Hygieneregeln verstoßen, und schlugen sie schwer, wogegen sich mehrere ihrer Mithäftlinge wandten. Auf Grund ihrer Proteste wurden Ngawang Sangdrol, Phuntsog Pema und Norzin Wangmo in Isolationshaft gesteckt. Aus Entsetzen über ihre Einzelhaft und als Zeichen der Solidarität begannen alle inhaftierten Nonnen einen Hungerstreik. Vier Tage lang nahmen wir nicht einmal einen Tropfen Wasser zu uns. Wir wurden mit jedem Tag schwächer. Am vierten Tag zwang uns der Gefängnisdirektor zum Abbruch des Hungerstreiks. Ngawang Sangdrols Haftstrafe wurde wegen dieses Vorfalls um weitere acht Jahre verlängert, während Phuntsog Pema und Norzin Wangmo sechs Monate in Einzelzellen gesperrt wurden.

Wir “alten” Gefangenen aus der Einheit Nr. 3 durften an keinen Veranstaltungen mehr teilnehmen, aber wir bekamen genau mit, was draußen vor sich ging, denn unser Trakt lag in der Nähe des Gefängnishofes. Wir hörten die Gewehrschüsse und den Lärm der Prügelorgie bei den Protesten vom 4. Mai 1998.

Die Gefängnisleitung ließ am 1. Mai 1998, dem Internationalen Tag der Arbeit, die chinesische Flagge hissen, was zu heftigen Protesten der politischen Gefangenen führte. Diese wurden brutal niedergeschlagen, wobei acht junge politische Gefangene ums Leben kamen und die Strafen von 27 weiteren verlängert wurden.

Als die Gefängnisleitung dann am 4. Mai 1998 den Internationalen Jugendtag begehen wollte, indem sie wieder ihre Nationalflagge auf dem Gefängnisgelände hissen ließ, riefen die Gefangenen erneut Parolen für die Unabhängigkeit. Die politischen Gefangenen in den Zellen zerbrachen das Fensterglas und fielen in die Rufe ein. Genau in diesem Moment stürmten die Wachen in unseren Zellenblock und trieben uns alle nach draußen. Dort schlugen sie mit Knüppeln, Gürtelschnallen und Fäusten auf uns ein, wobei einige von uns ernsthaft verletzt wurden. Manche bluteten stark am Kopf oder im Gesicht, andere hatten gebrochene Beine oder Rippen. Der ganze Gefängnishof war rot vor Blut. Ngawang Choezom, Choekyi Wangmo, Ngawang Tenzin und Kunsang kamen in Isolationshaft.

Für volle drei Monate nach dem Vorfall waren wir Tag und Nacht in unseren Zellen eingesperrt. Die Luft war verbraucht und übelriechend, wir selbst starrten vor Dreck und Blut. Man verweigerte uns jede Art von Hygiene, weshalb wir unerträglich stanken. Auch die 15minütigen Familienbesuche wurden uns sechs Monate lang gestrichen.

Im zweiten Monat des tibetischen Mondkalenders im Jahr 1999 wurde ich nach vollständiger Verbüßung meiner neunjährigen Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen. Mein Leben wurde danach aber nicht besser und mein Leidensweg nahm kein Ende. Jede meiner Bewegungen wurde überwacht. Ich wurde häufig verhört und mußte mich regelmäßig bei den Behörden melden. Da ich in einem Tibet unter chinesischer Herrschaft hinsichtlich meiner Zukunft keinen Hoffnungsschimmer mehr sah, entschloß ich mich zur Flucht ins Exil. Ich verließ meine geliebte Heimat, um bei Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama um eine Audienz nachzusuchen und um ein besseres Leben und Bildung zu erlangen. Am 3. Juni 2006 traf ich unversehrt in Dharamsala ein.

Ein Tibeter bei der Flucht ums Leben gekommen, zwei vermisst

Wie das TCHRD von einer kürzlich im tibetischen Empfangszentrum in Dharamsala angekommenen Flüchtlingsgruppe erfuhr, ist ein Mitglied der Gruppe auf dem Weg ins Exil gestorben und zwei weitere werden vermißt. Die Gruppe bestand aus 29 Personen, darunter neun Kindern, die ins Exil gingen, weil sie Zugang zu Bildung erlangen wollten. Die Flüchtlinge machten sich am 19. Tag des vierten Monats des tibetischen Mondkalenders von Lhasa aus auf den Weg, was dem 15. Juni 2006 entspricht. Ihr Weg führte sie über Lhartse nach Shar-Kumbu in Nepal. Unterwegs vermißte die Gruppe plötzlich zwei junge Männer; ein weiterer starb infolge einer Erkrankung des Verdauungskanals. Alle drei waren zwischen 20 und 30 Jahren alt. Man weiß nicht, ob die Verschwundenen von der chinesischen Polizei festgenommen wurden oder eine andere Fluchtroute einschlugen. Ebensowenig ist bekannt, ob sie in Sicherheit sind, denn es liegen keinerlei Berichte über ihren Aufenthaltsort vor. Die verbliebenen 23 Personen trafen ohne weitere Zwischenfälle wohlbehalten im tibetischen Empfangszentrum Dharamsala ein.

Tibeter auf der Flucht ins Exil müssen auf ihrer Reise nach Indien viele Hindernisse überwinden. Um der chinesischen und nepalesischen Grenzpolizei nicht in die Hände zu fallen, schlafen sie tagsüber und bewegen sich nur in der Nacht vorwärts. Sie leiden häufig unter Erfrierungen, und häufig kommt jemand unterwegs zu Tode oder geht der Gruppe plötzlich abhanden. Diejenigen, die von der chinesischen Polizei festgenommen werden, werden zurückgeschafft und ins Gefängnis geworfen. Auch die nepalesischen Grenzpolizisten deportieren die Flüchtlinge, die sie erwischen, nach Tibet zurück.

Mönche und Kinder machen den Großteil der Flüchtlinge aus, entweder weil sie eine Audienz beim Dalai Lama oder klösterliche bzw. Schulbildung erlangen wollen. Mit Sicherheit würden nicht so viele tibetische Kinder und Jugendliche ein derart hohes Risiko auf sich nehmen, um Zugang zu Bildung zu erhalten, wenn sie Tibet die Freiheit und Möglichkeiten dazu hätten.

EP-Präsident nach Abschluß seines Chinabesuchs weiter besorgt über Tibet

Nach dem Abschluß seiner siebentägigen Chinareise, in deren Verlauf er auch Tibet besuchte, brachte der Präsident des  Europäischen Parlaments, Joseph Borell, seine anhaltende Sorge über die Lage in Tibet zum Ausdruck. Sein offizieller Besuch vom 8. bis zum 14. Juli 2006 führte ihn nach Peking, Lhasa und Shanghai.

In einer Pressemitteilung im Anschluß an seine Reise erklärte er: "Während der ersten Tage besuchte ich auch Tibet. Ich war überrascht über die positive Wirtschaftsentwicklung der Region und sah auch die neue Eisenbahnstation in Lhasa, von welcher der Zug nach Peking startet. An der Oberfläche scheint es, als ob die religiöse Freiheit respektiert würde. Ich bin jedoch weiterhin besorgt wegen des Tibet-Problems. Ich sprach bestimmte Menschenrechtsfälle an (den Panchen Lama, Tenzin Delek Rinpoche). Meine Gesprächspartner schienen nicht überzeugt zu sein von der Ernsthaftigkeit des wiederholt vorgetragenen Wunsches des Dalai Lama nach einer friedlichen Verhandlungslösung für das Tibet-Problem auf der Basis eines einen Chinas und innerhalb des Rahmens der chinesischen Verfassung“.

Während seines Treffens mit der chinesischen Führung und insbesondere mit dem Präsidenten der VR China, Hu Jintao, betonte er die Notwendigkeit von mehr Demokratie und der Verbesserung der Menschenrechte. Des weiteren brachte er die Besorgnis des Europäischen Parlaments bezüglich der Einschränkung der Meinungsfreiheit zur Sprache und forderte die Abschaffung der Zwangsarbeit und die Ratifizierung des Internationalen Abkommens über bürgerliche und politische Rechte.

EU verurteilt Verletzung von Menschen- und religiösen Rechten in Tibet

Die EU hat die schlechte Menschenrechtslage in China sowie das Vorgehen der Regierung gegen tibetische Dissidenten und Mönche scharf verurteilt. Zudem hat sie die chinesische Führung dazu aufgefordert, ihr Augenmerk mehr auf die sozialen Mißstände zu richten und die Todesstrafe abzuschaffen.

Mit großer Mehrheit hat das Auswärtige Komitee des Europäischen Parlaments einem Bericht über die Beziehungen zwischen der EU und China zugestimmt, in dem Peking zu mehr Achtung der Menschenrechte sowie der Religions- und Informationsfreiheit aufgefordert wird. Weiter wird in dem Papier die Einstellung der Zensur von Presse und Internet angemahnt. Der Bericht setzt sich aus diversen Erwägungen und Forderungen zu wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Themen zusammen. China wird darin auch zu mehr Aufrichtigkeit hinsichtlich der „Partnerschaft“ zwischen der EU und China gemahnt, die nun schon ins 30. Jahr geht und auf „Glaubwürdigkeit, Stabilität und Verantwortungsbewußtsein“ gebaut sein sollte.

Die EU rief China in ihrem Bericht zur Abschaffung des laogai-Systems (Umerziehung-durch-Arbeit) auf und verurteilte die chinesische Folterpraxis und die Inhaftierung tibetischer Dissidenten und Mönche in Gefängnissen, Haftanstalten und psychiatrischen Kliniken. Der Bericht wurde auf die Initiative des niederländischen EP-Abgeordneten Bastian Belder hin verfaßt. Seine Veröffentlichung erfolgte zeitgleich mit dem siebentägigen Chinabesuch des Präsidenten des Europäischen Parlaments.

Tibeter wegen winziger tibetischer Flagge zu vier Jahren Haft verurteilt

Wie verlautet, wurde der 30jährige Mönch Tashi Gyatso aus dem Kloster Gyamo zu vier Jahren Haft verurteilt. Anfang 1999 war er nach Indien ins Exil gegangen und hatte dort zwei Jahre lang die Sherab-Gatsel-Schule (tibetische Transitschule) besucht, bevor er 2002 nach Tibet zurückkehrte. Auf der Heimreise wurde er von chinesischen Polizisten festgehalten und durchsucht. Sie fanden eine kleine tibetische Flagge in seiner Tasche. Nur aus diesem Grund wurde er festgenommen, schwer geschlagen und schließlich wegen „Gefährdung der Staatssicherheit“ zu vier Jahren verurteilt. Gegenwärtig verbüßt er seine Strafe im Gefängnis Drapchi.

Acht Jahre Haft für tibetischen Mönch

Bestätigten Informationen zufolge wurde Namkha Gyaltsen, ein Mönch aus dem Kloster Kardze, Provinz Sichuan, zu acht Jahren Haft verurteilt und im Ngaba-Gefängnis in der Provinz Sichuan inhaftiert. Namkha Gyaltsen wurde im März 2006 festgenommen, weil er Parolen für die Unabhängigkeit Tibets an die Wände von Regierungsgebäuden und auf zwei Brücken in der Region Kardze gemalt haben soll.

Als er erfuhr, daß das Public Security Bureau gegen ihn ermittelt, setzte er sich aus Angst, verhaftet zu werden, ab. Er beabsichtigte über Lhasa nach Indien zu entkommen. Das PSB heftete sich jedoch an seine Fersen, nahme ihn bei einer Brücke zwischen Sakya und Shigatse fest und schaffte ihn zurück nach Kardze.

Geächtete tibetische Autorin gelobt Gegenwehr

Die bekannte tibetische Schriftstellerin Woeser (chin. Wei Se), deren Blogs kürzlich von den chinesischen Behörden geschlossen wurden, beteuerte, sie werde auch weiterhin ihre Meinung sagen und das Bewußtsein für tibetische Kultur in China stärken. Bereits am 27. Oktober 2004 hatte sie ihre Arbeitsstelle, ihre Wohnung und ihre Bewegungsfreiheit verloren, weil ihre Texte angeblich von einer positiven Einstellung gegenüber dem Dalai Lama geprägt seien. Die 40 Jahre alte Woeser glaubt, die Regierung hätte ihre Blogs geschlossen, weil sie vor kurzem ein Foto des im Exil lebenden tibetischen Oberhaupts, des Dalai Lama, darin veröffentlicht hatte.

In ihren beiden Blogs, dem „Woeser Blog“ und dem „Maroon Map“, hatte sie sich mit Themen wie HIV/AIDS in Tibet, der neuen Tibet-Eisenbahn und dem 40. Jahrestag der Kulturrevolution befaßt. In den Augen der chinesischen kommunistischen Führung sind das alles äußerst brisante Themen.

Woeser berichtete RFA: „Ich überprüfte mein Woeser-Blog und stellte fest, daß es verschwunden war. Also schickte ich eine E-Mail an tibetcul.net und hoffte auf eine Antwort. Sie antworteten um die Mittagszeit und teilten mir mit, die Zentrale Vereinte Arbeitsfront hätte die Internet-Überwachungsstelle von Gansu angewiesen, meine Weblog-Sites zu schließen. Mein Blog war in der Provinz Gansu registriert. Für die Schließung gaben sie mir keinerlei Erklärung. Da die Behörden auch andere Websites und Blogs geschlossen haben, war dies keine Überraschung für mich.“   

„Sie können zwar meine Blogs schließen, aber sie können nicht mir nicht das Reden oder Schreiben verbieten“, sagte sie in einer 80minütigen Call-in-Sendung von RFA. „Ich werde weiterhin schreiben und meine Meinung sagen und werde nicht den Mund halten. Da ich auf Chinesisch schreibe, kann ich mehr Menschen mit dem, was tibetische Kultur, Geschichte, Religion und Tradition wirklich ist, vertraut machen.“

Woeser ist eine renommierte Schriftstellerin tibetischer Herkunft. Es gibt zehn Veröffentlichungen von ihr, darunter ein Buch mit einer Gedichtsammlung, einen Prosaband mit dem Titel „Tibet Journal“ und zwei Bücher über die Kulturrevolution von 1966-76. Der Großteil ihrer Veröffentlichungen ist in China verboten.