April 2006
Human Rights Update
Inhalt
  1. 11 Jahre sind vergangen, seit der 11. Panchen Lama Gendun Choekyi Nyima verschwand
  2. “Western Development Programme” führt zu massiven Umsiedlungen
  3. Biographie des ehemaligen politischen Gefangenen Lhakpa Tsering
  4. Sinisierung, zu teure Schulen und Mißstände treiben tibetische Kinder über den Himalaya ins Exil
  5. Behörden weisen Fernsehsprecher an, pelzbesetzte Kleidung zu tragen

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11 Jahre sind vergangen, seit der 11. Panchen Lama Gendun Choekyi Nyima verschwand

Am 25. April 2006 sind jährt es sich zum elften Mal, daß der 11. Panchen Lama, Gendun Choekyi Nyima verschwunden ist. Er wurde seit dem 17. Mai 1995 nicht mehr gesehen, nachdem der Dalai Lama ihn als die Wiedergeburt des 10. Panchen Lama, Erdeni Choekyi Gyaltsen, anerkannt hatte. Es gibt seit dieser Zeit auch keinerlei Informationen über seinen Verbleib. Es wird allgemein angenommen, daß er sich zusammen mit seinen Eltern an einem unbekannten Ort in chinesischem Gewahrsam befindet.

Am 13. April 2006 wurde Asma Jahangir, der UN Sonderberichterstatterin für Religionsfreiheit, von der chinesischen Regierung mitgeteilt, daß Gendun Choekyi Nyima zur höheren Schule gehe, daß er “ein normales, glückliches Leben führt und eine gute kulturelle Bildung erhält”. Was unter der Aussage “gute kulturelle Bildung” zu verstehen ist, wurde von chinesischer Seite jedoch nicht definiert. Bis zum heutigen Tag durften weder Privatpersonen noch Regierungsvertreter Gendun Choekyi Nyima besuchen, und die Besorgnis um sein Wohlergehen hält unvermindert an.

Darüber hinaus erklärte die chinesische Regierung Asma Jahangir, Gendun Choekyi Nyima sei nicht der Panchen Lama, sondern ein gewöhnlicher tibetischer Junge. An demselben Tag hielt die chinesische Regierung ein Religionsforum ab – ihr allererstes seit der Gründung der Volksrepublik China. Überraschend trat der von China eingesetzte Panchen Lama, Gyaincain Norbu, als einer der Hauptredner bei diesem Forum auf. Die Regierung suchte auf diese Weise die Unterstützung für ihn zu mehren und seine Legitimität zu festigen. Es bleibt jedoch Tatsache, daß das tibetische Volk in seinem Herzen und Denken den vom Dalai Lama gemäß der tibetischen Tradition anerkannten Gendun Choekyi Nyima als den 11 Panchen Lama betrachtet.

Am 14. Mai 1995 erkannte Seine Heiligkeit der Dalai Lama den damals sechs Jahre alten Gendun Choekyi Nyima als die Reinkarnation des 10. Panchen Lama an. Die Regierung der VR China erklärte diese Ankündigung für ungültig und gesetzwidrig. Drei Tage später verschwanden Gendun Choekyi Nyima und seine Eltern und wurden seither nie mehr gesehen. China hat die UN Konvention über die Rechte des Kindes am 29. August 1990 unterzeichnet und sie am 2. März 1992 ratifiziert. Seine Festhaltung des jungen Panchen Lama stellt eine grobe Verletzung der Konvention über die Rechte des Kindes, sowie der chinesischen als auch internationalen Gesetze dar.

Im Oktober 2000 versuchten die chinesischen Behörden eine britischen Delegation glauben zu machen, der Junge sei wohlauf und besuche die Schule. Sie behaupteten, die Eltern wollten nicht, daß Ausländer oder Medienvertreter in sein Leben eindringen. Der britischen Delegation wurden zwei Fotos eines Knaben von ungefähr dem gleichen Alter gezeigt, die angeblich den Panchen Lama darstellten. Es war jedoch unmöglich, die Identität des Jungen auf den Fotos zu verifizieren oder festzustellen, wo sie aufgenommen worden waren, und ebenso wenig durfte die britische Delegation die Bilder mitnehmen.

Im August 2001 bekam eine Delegation polnischer Parlamentarier, die Lhasa besuchte, auf ihre wiederholten Fragen zu hören, Gendun Choekyi Nyima sei wohlauf und gesund. Man versprach den Mitgliedern der Delegation, ihnen innerhalb von sechs Wochen Fotos des Knaben zuzuschicken, aber diese trafen niemals bei ihnen ein. Statt dessen erhielt die polnische Regierung einen Brief von der chinesischen Botschaft in Warschau, in dem wiederholt wurde, Gendun Choekyi Nyima und seine Eltern wünschten nicht, daß ihr friedliches Dasein von Fremden gestört werde; abgesehen davon respektiere die chinesische Regierung die Entscheidungsfreiheit ihrer Bürger und hoffe, das polnische Volk hätte dafür ebenfalls Verständnis.

Während des Treffens einer Regierungsdelegation aus der TAR mit einer Delegation des Europäischen Parlaments im März 2002 wurde die Behauptung wiederholt, die Eltern von Gendun Choekyi Nyima wollten nicht, daß er gestört werde. Die TAR-Delegation lehnte es ab, Fragen nach den Fotos zu beantworten, die der polnischen Delegation versprochen worden waren. Angesichts der Weigerung der Chinesen, Bilder zu liefern, auf denen Gendun Choekyi Nyima eindeutig identifiziert werden kann oder unabhängigen Personen Zugang zu dem Jungen und seiner Familie zu gewähren, muß das tibetische Volk das Schlimmste befürchten.

Das fortgesetzte Verbergen des Panchen Lama vor der Öffentlichkeit steht in krassem Widerspruch zu der Behauptung Chinas, in Tibet würde die Religionsfreiheit respektiert. Im Gegenteil gibt dies zu der Befürchtung Anlaß, daß diesem religiösen Würdenträger mit einem derart herausragenden Status die ihm gebührende traditionelle religiöse Ausbildung verweigert wird, vorausgesetzt, er ist überhaupt noch am Leben.

In den seit seiner Entführung zusammen mit seinen Eltern vergangenen elf Jahren konnten internationale Gremien und Menschenrechtsbeobachter nichts über seinen Verbleib und seinen Zustand in Erfahrung bringen. Chadrel Rinpoche, der ehemalige Abt des Klosters Tashi Lhunpo, dem Sitz des Panchen Lama, und der Leiter der Suchkommission nach der Wiedergeburt des 11. Panchen Lama, sowie sein Assistent Champa Chungla verschwanden am 14. Mai 1995 auf dem Flugplatz von Chengdu, Provinz Sichuan. Am 21. April 1997 verurteilte das Mittlere Volksgericht von Shigatse Chadrel Rinpoche zu 6 Jahren Haft. Er wurde der “Verschwörung zur Spaltung des Landes” und der “Preisgabe von Staatsgeheimnissen” angeklagt. Weiterhin wurde er beschuldigt, bei der Suche nach dem 11. Panchen Lama gemeinsame Sache mit dem Dalai Lama gemacht zu haben. Obwohl Chadrel Rinpoches sechsjährige Haftstrafe am 16. Mai 2001 zu Ende ging, wird er vermutlich immer noch in Shigatse unter Hausarrest gehalten. Jampa Chungla, der 56jährige ehemalige Assistent von Chadrel Rinpoche, wurde 1995 wegen seiner Zugehörigkeit zu dem Suchkomitee nach dem 11. Panchen Lama festgenommen. Er wurde zu 4 Jahren Gefängnis und 2 Jahren Aberkennung der bürgerlichen Rechte verurteilt. Selbst nach Verbüßung seiner ursprünglich auf 4 Jahre lautenden Strafe wird er immer noch in Gewahrsam gehalten.

Im Juni 2005 legte die “Arbeitsgruppe für Zwangsverschleppung und unfreiwilliges Verschwinden” der UN-Menschenrechtskommission der chinesischen Regierung in Bangkok die Frage nach dem Panchen Lama vor und erklärte, daß “sie es begrüßen würde, wenn sie von der Regierung Chinas Dokumente zur Bestätigung ihrer Aussage erhielte, daß der Junge und seine Eltern die Regierung um Schutz gebeten haben, ein normales Leben führen und sich bester Gesundheit erfreuen”. Bedauerlicherweise erfolgte von den chinesischen Regierungsvertretern keine plausible oder positive Antwort.

Das Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) ist erschüttert darüber, daß Gendun Choekyi Nyima, der am 25. April 2006 siebzehn Jahre alt wird, immer noch von der chinesischen Regierung unter Verschluß gehalten wird. Angesichts des Mißlingens sämtlicher Versuche unabhängiger Gremien, ihn zu Gesicht zu bekommen, fordert das TCHRD die Vereinten Nationen und ihre diversen thematischen Ausschüsse auf, ihren Druck auf die chinesische Regierung zu erhöhen, damit sie der Bitte des UN-Komitees für die Rechtes des Kindes, Gendun Choekyi Nyima zu besuchen und sich seiner Gesundheit und Lebensumstände zu vergewissern, stattgibt.

“Western Development Programme” führt zu massiven Umsiedlungen

Das TCHRD sprach mit Neuankömmlingen aus Tibet, deren Lebensgrundlage durch die von der Zentralregierung finanzierten und vielgepriesenen Projekte des “Western Development Programme” (Entwicklungsprogramm für den Westen) vernichtet wurde.

Nomaden in Golok zur Ansiedlung in Ortschaften gezwungen

Im Rahmen der von der Regierung propagierten “Modernisierungsinitiative” wurden Nomadengemeinschaften aus Golok zur Umsiedlung gezwungen, weil diese ihnen angeblich zu “einem besseren Leben” verhelfen würde. Die Behörden erklärten den Nomaden, ihre Lebensweise sei rückständig, und wiesen sie an, ihre Herden zu verkaufen und sich an einem festen Ort niederzulassen. Eine Reihe von Nomadenfamilien wurde bereits in Ortschaften angesiedelt.

Ein Tibeter, der am 23. März 2006 im Exil ankam und anonym bleiben möchte, berichtete: “Ich komme aus dem Distrikt Tawu, TAP Golog, Qinghai. Im Jahr 2000 haben die Behörden in unserer Gegend die sogenannte “Modernisierungsinitiative” gestartet. Sie erklärten den Nomaden, ihre bisherige Lebensweise zusammen mit den Tieren sei überholt und sie sollten sich statt dessen an die Leitlinien der Regierung halten, um ihre Lage zu verbessern. Sie wurden angewiesen, ihr Vieh zu verkaufen und sich in Siedlungen niederzulassen, wo man bereits im Jahr 2000 mit dem Bau von kleinen Häusern begonnen hatte. Nach deren Fertigstellung wurden die Nomaden zum Verkauf ihrer Herden gezwungen, egal, ob sie angemessene Preise dafür erhielten oder nicht. Anschließend mußten sie in die neu gebauten Dreizimmerhäuschen einziehen. Die Nomadengemeinschaften aus Nelung und Domchung im Distrikt Tawu wurden aufgefordert, ihr Vieh an die örtlichen muslimischen Siedler zu verkaufen. Insgesamt wurden mehr als 60 Nomadenfamilien, 45 davon aus Nelung und 16 aus Domchung, zwangsumgesiedelt. Da es sich bei den Nomaden meistens um Großfamilien mit vielen Personen handelt, fanden sie nicht alle in den ihnen von der Regierung zugewiesenen Häusern Platz. Als sie sich deswegen bei den Behörden beschwerten, bekamen sie zu hören, die Regierung könne ihnen keine anderen als die bereits gebauten Häuser zur Verfügung stellen. Um die Nomaden zum Schweigen zu bringen, erhielten sie ein paar Kilo Reis und Gerste.

In der Gemeinde Gepo, Distrikt Tawu, ereignete sich 2004 etwas Ähnliches. Mehr als 90 Familien aus Chuwa und Nechen mußten in die neu gebauten Häuser einziehen. Die beiden Nomadencamps zählten ursprünglich über 200 Familien, die verbliebenen sollen in naher Zukunft ebenfalls umgesiedelt werden.

Die sogenannte “Modernisierungsinitiative” der chinesischen Regierung zeigt sich auf dem tibetischen Hochland von einer ganz anderen Seite. Die in die seßhafte städtische Gesellschaft verpflanzten traditionellen nomadischen Familien werden mit den dortigen komplexen Anforderungen konfrontiert, ohne über die notwendigen Fähigkeiten zum Erwerb ihres Lebensunterhalts zu verfügen. Ohne moderne Schul- oder Berufsausbildung können sie keine Arbeit finden und auch kein Geschäft eröffnen, denn diese Nische ist bereits von chinesischen Siedlern besetzt. Die Regierung wird sie gewiß nicht auf Dauer unterstützen und so werden sie als Bettler enden, denn zu ihrer bisherigen Lebensweise können sie nicht mehr zurückkehren.

Die Familie des von uns Interviewten besaß 150 Stück Vieh, wovon sie nicht nur ihren Lebensunterhalt bestreiten, sondern ihn sogar noch zur Schule schicken konnte. Seinen Angaben zufolge gab seine Familie etwa 8000 Yuan für seine Schulbildung aus, aber nach der Umsetzung der Regierungspolitik zur Abschaffung des Nomadentums mußte das Vieh verkauft werden. Der Familie blieben nur noch 27 Tiere übrig, und sie hat nun enorme Probleme mit dem Erwerb ihres Lebensunterhalts. Unser Gesprächspartner mußte die Mittelschule abbrechen, da seine Eltern die Kosten nicht mehr aufbringen konnten. Die in der Gegend verbliebenen Nomaden haben bereits mit dem Verkauf ihrer Herden begonnen, denn früher oder später werden sie ebenfalls umgesiedelt werden, und sie machen sich nun große Sorgen wegen der neuen Lebensumstände, die sie in der Stadt erwarten.

Bauern im Distrikt Dingri werden umgesiedelt

Auch die Bauern im Westen Tibets stehen vor derselben Misere. Wie ein Neuankömmling aus dem Distrikt Dingri (chin. Tingri) dem TCHRD berichtete, sollen im Rahmen des “Entwicklungsprogramms für den Westen” zahlreiche Familien in einer neu errichteten Ortschaft angesiedelt werden:

“Vor etwa zwei Jahren gaben die Gemeinde- und Distriktbehörden bekannt, daß die Einwohner von zwei Dörfern in der Gemeinde Shekar, Distrikt Dingri, auf ein etwa drei Kilometer entferntes Stück Land umgesiedelt würden. Von den zehn Dörfern der Gemeinde Shekar waren diese beiden diejenigen mit den meisten Bewohnern. In Chushar leben um die 40 und in Lishin um die 60 Familien. Beide Dörfer sind organisch gewachsen und von Feldern umgeben, die eifrig bestellt werden. In der Umgebung der neuen Siedlung ist kaum Ackerbau möglich, da sie an einem Hang liegt. Vor zwei Jahren begann die Regierung damit, dort Häuser zu bauen, welche die Bauern beim Einzug zur Hälfte zu zahlen haben, der Restbetrag wird ihnen dann von der Regierung leihweise zur Verfügung gestellt. Die Regierung versprach den Bauern eine Entschädigung von 1000 Yuan für jedes mu (1 mu entspricht 67 qm) eingebüßten Ackerlands sowie Schadensersatz für die Sachwerte in ihren bisherigen Behausungen. Obwohl keine der betroffenen Familien etwas von der Umsiedlung und der in Aussicht gestellten Entschädigung hält, wagt es niemand, den Behörden zu widersprechen.”

Der Flüchtling fuhr fort: “Auch in der Gegend von Dzongdul, Distrikt Dingri, haben die Behörden mit der Errichtung von neuen Häusern begonnen. Es heißt, einige davon würden an Einzelpersonen verkauft und die übrigen anderweitig für kommerzielle Zwecke verwendet werden. Die Tibeter in den Dörfern befürchten, wenn die Eisenbahn erst einmal voll in Betrieb genommen ist, werden viele chinesische Zuwanderer kommen und in diese Häuser einziehen, so daß ihnen allmählich das ganze Gebiet weggenommen wird.”

Verlust der Ernte infolge der Gleichgültigkeit der Behörden

Ein anderer Flüchtling, Sonam Topden, 30, aus dem Distrikt Ngari, berichtete dem TCHRD: “In der Nähe des Dorfs Parab, Gemeinde Chusum, Distrikt Ngari, gibt es einen Fluß Nugmagyalri. Infolge der anhaltenden Erosion und der Erdrutsche staute sich der Fluß allmählich auf. Die Dorfbewohner informierten die Behörden, welche die Lage zwar mehrmals in Augenschein nahmen, jedoch nichts unternahmen, um den Stau zu beseitigen. Im Mai 2005 wurde eine große Menge Baumstämme den Fluß hinunter geflößt, wodurch die Sperre barst und das Wasser auf einmal abfloß. Die Häuser im Dorf wurden zwar kaum beschädigt, aber die Felder der Bewohner mit einer Fläche von etwa von 1000 mu wurden überschwemmt, und ihre gesamte Ernte war vernichtet. Für die Familien, die sowieso schon von der Hand in den Mund lebten, war die plötzliche Überflutung ihrer Felder ein großer Schicksalsschlag.

Umsiedlung wegen eines neuen Wasserkraftwerks

2004 wurde mit den Arbeiten für den Bau eines neuen Wasserkraftwerks im Kreis Meldrogungkar begonnen, das als “Elektrizitätswerk Drikung” bezeichnet wird. Wie aus chinesischen Quellen hervorgeht, wurde 128 Bauernfamilien eine amtliche Mitteilung zugestellt, daß sie umgesiedelt und dafür finanziell entschädigt würden. Diese Entschädigung wird ihnen aber nicht sehr lange helfen, und danach werden sie große Schwierigkeiten bekommen, denn sie verfügen über keine anderen Einkommensquellen, und es wird einige Zeit dauern, bis sie ihre Landwirtschaft wieder voll aufnehmen können.

Das sogenannte “Western Development Programme” der chinesischen Regierung, das Tibet zu wirtschaftlichem Aufschwung verhelfen soll, hat in den ländlichen Gebieten bisher mehr Schaden angerichtet als Nutzen gebracht. Umsiedlung, Vernichtung der Lebensgrundlagen und mangelnde Partizipation sind einige der Grundprobleme, die dieses Programm für die Tibeter mit sich bringt. Das TCHRD appelliert an die chinesische Regierung, sämtliche Aktivitäten einzustellen, durch die das Leben der ohnehin schon marginalisierten Tibeter auf dem Land noch mehr erschwert wird. Die ortsansässige Bevölkerung sollte bei jedem Entwicklungsprojekt angehört und an dessen Durchführung beteiligt werden, denn eine ihr aufgezwungene Entwicklung sorgt langfristig nur für Ängste in der Bevölkerung und Hunger.

Biographie des ehemaligen politischen Gefangenen Lhakpa Tsering

Lhakpa Tsering wurde 1970 im Kreis Dechen, Bezirk Lhasa, TAR, geboren. Als er 7 Jahre alt war, schickten ihn seine Eltern auf die staatliche Schule. Nachdem er diese durchlaufen hatte besuchte er ab 1986 die Mittelschule. Am 7. März 1989 kam es in Lhasa zu Protestaktionen für die Unabhängigkeit, an denen sich Lhakpa und einige Mitschüler aktiv beteiligten. Die bewaffnete Volkspolizei (People’s Armed Police = PAP) schlug den Protest brutal nieder und verhaftete einige der Beteiligten, darunter auch Lhakpa und seine Kameraden.

Die Milizionäre der PAP begannen noch am Ort des Protests, mit den Kolben ihrer Dienstwaffen oder mit Ziegelsteinen auf die festgenommenen Schüler einzuschlagen. Danach brachte man sie ins örtliche Haftzentrum, wo während der Verhöre weiter auf sie eingeprügelt wurde. Zwei von Lhakpas Mitschülern wurden später freigelassen, während er selbst und die anderen festgenommenen Jugendlichen ins Haftzentrum des Public Security Bureau der TAR verlegt wurden. Nach einer Woche wurden sie ins Outridu-Gefängnis, das heute unter dem Namen Lhasa-Gefängnis bekannt ist, gebracht. Dort waren die Haftbedingungen äußerst schwierig, denn die Gefangenen bekamen nur wenig zu essen und hatten keine Matratzen oder Decken zur Verfügung. Sie protestierten gegen diese miserablen Bedingungen, indem sie ihre Eßnäpfe aus den Zellen warfen und riefen: „Wenn die kommunistische Partei uns nicht ernähren kann, soll sie uns freilassen!“ Die Wachen schlugen die Häftlinge daraufhin brutal zusammen und verlegten Lhakpa anschließend ins Gefängnis Sangyip.

Dort wurde er wieder geschlagen und zur Rede gestellt, warum er sich an den Protestaktionen beteiligt hätte. Lhakpa antwortete, als Schüler erwarte er, daß die tibetische Sprache respektiert und gefördert werde. Die Vernehmungsbeamten wiesen seine Argumentation jedoch zurück und behaupteten, er hätte „separatistische“ Ansichten und da sei gewiß jemand im Hintergrund, der ihn instruiert hätte. Obwohl Lhakpas Mitschüler alle innerhalb eines Monats freigelassen wurden, wurde er selbst zu zwei Jahren „Umerziehung-durch-Arbeit“ verurteilt und blieb in Sangyip inhaftiert.

Die anderen Insassen, die ihn wegen seiner Standhaftigkeit und seiner entschiedenen Ablehnung der chinesischen Herrschaft über Tibet schätzten, waren ihm sehr nahe. Mit einigen steht Lhakpa steht bis heute in Verbindung. Während seiner gesamten Haftzeit ließ er sich nicht von seinem Standpunkt abbringen und blieb dabei, daß er nichts Strafbares getan habe. Während einer Umerziehungsklasse im Winter legte er sogar einmal eine Petition vor, in der er dies bestätigte. Als ein junger, gebildeter Tibeter genoß er das Wohlwollen der älteren politischen Gefangenen, die ihm vertrauten, während die Wachen ständig auf der Lauer lagen, ob er nicht irgendeinen Fehler begehe, dessen sie ihn bezichtigen könnten.

Auf Grund seiner Bildung wurde Lhakpa damit beauftragt, die Gefangenen über die Inhalte eines juristischen Handbuchs zu unterrichten, wofür man ihm eine Strafverkürzung von zwei Monate in Aussicht stellte. Dennoch blieb er bei seiner Überzeugung und erklärte wiederholt, seine Teilnahme an den Protestaktionen sei rechtens gewesen. Die Wachen schlugen ihn heftig und argwöhnten, andere tibetische Gefangene würden ihn negativ beeinflussen. Daher wurde er von den politischen Gefangenen getrennt und in einer Zelle mit kriminellen Häftlingen untergebracht. Erst nach wiederholten Appellen der politischen Gefangenen wurde er wieder in ihre Einheit zurückverlegt. Das Gefängnispersonal war der Auffassung, er verdiene keine Strafminderung von zwei Monaten. Trotzdem gab es ein paar Wachen, die argumentierten, er hätte lediglich seine innere Überzeugung zum Ausdruck gebracht und damit keine Gesetze übertreten. Demzufolge wurde er am 7. März 1991 aus der Haft entlassen.

Nach seiner Freilassung ging er gemeinsam mit dem älteren ehemaligen politischen Gefangenen Jampa Phuntsok weiterhin politischen Aktivitäten nach und brachte einige Monate lang heimlich immer wieder Plakate an, auf denen die Unabhängigkeit gefordert wurde. Im August 1991 flohen er und Jampa Phuntsok aus Tibet und trafen am 9. Oktober 1991 im Empfangszentrum für tibetische Flüchtlinge in Dharamsala ein. Eine Woche nach seiner Ankunft wurde er in einer tibetischen Schule in Bir in der Nähe von Dharamsala aufgenommen, mußte diese aber nach einem Jahr verlassen, weil er sich wegen eines chronischen Beinleidens in ärztliche Behandlung geben mußte. Nach seiner Genesung machte er 1994 einen Kurs in Informatik. Im Anschluß daran fand er eine Anstellung bei der tibetischen Regierung-im-Exil und ist derzeit in der Sicherheitsabteilung tätig. 

Sinisierung, zu teure Schulen und Mißstände treiben tibetische Kinder über den Himalaya ins Exil

Fast die Hälfte derjenigen, die jedes Jahr aus Tibet fliehen, sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Die Gründe, weshalb die Eltern sich genötigt sehen, ihre Kinder ins Exil zu schicken, wo sie für sie eine bessere und sichere Zukunft erhoffen, reichen von den unerschwinglichen Kosten für die Bildung bis zur politischen Ausrichtung des Lehrplans in Tibet. Das TCHRD sprach mit zwei jungen Mädchen, die kürzlich im Exil ankamen. Ihre Gründe für die Flucht waren verschiedene, den gemeinsamen Nenner bildeten jedoch die Kosten für Schulbildung auf dem tibetischen HochpPlateau.

Tenzin Choezom, ein 17jähriges Mädchen aus dem Dorf Chakri, Gemeinde Drachi, Distikt Drenang, Präfektur Lhoka, TAR, ging ein paar Jahre zur Schule, mußte diese dann aber auf Grund der finanziell angespannten Lage ihrer Familie verlassen. Danach arbeitete sie einige Jahre lang als Hausmädchen bei einer Familie in Lhasa. 

Sie berichtete dem TCHRD: “Wir sind Bauern und unsere Familie besteht aus 10 Personen. Der Ertrag unserer Felder reicht aber nur für vier Personen aus, denn die Landzuteilung fand lange vor der Geburt von uns Kindern statt. Wir lebten von der Hand in den Mund und konnten nie etwas ansparen. Mein großer Bruder und ich waren die einzigen von uns, die zur Schule gehen konnten. Ich besuchte 6 Jahre lang die Grundschule in unserem Dorf und beabsichtigte, danach meine schulische Ausbildung fortzusetzen. Als sich meine Mutter jedoch ein ernstes Beinleiden zuzog, mußten wir eine Menge Geld für ihre Behandlung ausgeben. Mein Vater hinterlegte 1200 Yuan, damit sie im Volkshospital Lhasa überhaupt Aufnahme fand. Sie wurde dort eineinhalb Monate lang stationär behandelt; ich war die ganze Zeit bei ihr und half bei ihrer Pflege. Als sie schließlich aus dem Krankenhaus kam, hatten wir eine immense Geldsumme für sie ausgegeben. Meine Eltern wollten trotzdem, daß mein Bruder seine Ausbildung fortsetzte; er versprach ihnen dafür gute Noten heimzubringen – ein Versprechen, das er hielt.

Er kam in der Mittelschule sehr gut voran und war Drittbester bei der Aufnahmeprüfung zu einem angesehenen Gymnasium in Lhoka. Wir freuten uns richtig für ihn, aber sein Glück währte leider nicht lange, denn obwohl er die Zulassung in der Tasche hatte, wurde statt seiner der Sohn eines Regierungsbeamten aufgenommen. Wir erfuhren, daß dieser Mann den Schulverwalter bestochen hatte. Die ganze Familie war sehr niedergeschlagen, aber wir konnten nichts dagegen tun und mußten zusehen, wie ein schlechterer Schüler meinem Bruder den Platz wegnahm. Noch Monate nach diesem Schicksalsschlag war mein Bruder gedrückter Stimmung. Er hatte eigentlich vorgehabt, seine Schulbildung fortzusetzen, aber nachdem ein anderer seinen Platz okkupiert hatte, entschloß er sich zu einer Schreinerausbildung in Lhasa. Gegenwärtig erlernt er dort bei einem tibetischen Zimmermann das Tischlerhandwerk.

Mit 13 Jahren ging ich nach Lhasa und arbeitete bis 2004 als Hausmädchen in einem tibetischen Haushalt. Meine Pflichten umfaßten das Putzen des Hauses, das Waschen der Kleidung, Babysitten und Mitarbeit in der Küche. Allmählich wurde mir immer klarer, daß ich ohne Bildung nie ein annehmbares Leben werde führen können. Weil ich aber in Tibet keinerlei Möglichkeit dazu hatte, floh ich in der Hoffnung auf eine freie, gute Bildung in einer von der tibetischen Regierung-im-Exil errichteten Schule ins Exil.” Tenzin Choezom ist heute 17 Jahre alt und wartet sehnlichst auf ihre Aufnahme in eine Exilschule.

Die in Lhasa geborene Tenzin Tsezin, 19, ging ebenfalls ins Exil, um dort Zugang zu besserer Bildung zu erlangen. Sie berichtete dem TCHRD: “Ich besuchte die Gyabumgang-Grundschule in Lhasa und anschließend die Mittelschule Nr. 2. Nach der 9. Klasse wechselte ich auf die Oberschule Nr. 3 über, auf das ich bis zum Abschluß der 12. Klasse im Juli 2005 ging. Danach konnte ich meine Ausbildung nicht mehr fortsetzen. Das hatte zum einen finanzielle Gründe und lag zum anderen daran, daß es für Tibeter selbst dann, wenn sie über eine abgeschlossene höhere Schulbildung verfügen, kaum berufliche Chancen gibt. In der Schule wurden alle Fächer außer tibetischer Sprache auf Chinesisch unterrichtet. Sie konzentrieren sich dort hauptsächlich darauf, den Schülern die kommunistische Ideologie einzuhämmern und loyale kommunistische Tibeter heranzuziehen. Der Geschichtsunterricht, der den Schülern aufoktroyiert wird, läßt jegliche tibetische Perspektive vermissen – sie sollen ausschließlich die chinesische Version der tibetischen Geschichte lernen. Da es kaum Gelegenheit gibt, Tibetisch in Sprache und Schrift ordentlich zu erlernen, legten die meisten Schüler, einschließlich meiner selbst, mehr Wert auf Chinesisch, was ganz natürlich ist, denn alle Fächer werden ausnahmslos auf Chinesisch unterrichtet.

Die Schulverwaltung versucht auch, die Schüler von der Beachtung tibetischer religiöser Feiertage abzuhalten. Einmal rief der Direktor alle Schüler zusammen und erklärte, wir dürften an religiösen Festtagen, insbesondere am Geburtstag des Dalai Lama, nicht in die Tempel gehen, um zu beten. Falls wir es dennoch täten und dabei gesehen würden, hätten wir mit sofortigem Schulverweis zu rechnen. Später verteilte die Schulverwaltung Handbücher an die Schüler und befahl ihnen, den Inhalt auswendig zu lernen. Darin wurden der Dalai Lama und die “separatistische Bewegung” verurteilt und die Schüler zur Stellungnahme gegen sie aufgefordert. Nach dem Auswendiglernen des Textes mußten die Schüler einen Fragebogen ausfüllen, anhand dessen ihre Kenntnisse und ihre Loyalität überprüft wurden. Noch auf andere Weise versuchen die Behörden, die Schüler politisch zu beeinflussen. Jeden Morgen mußten wir die chinesische Nationalhymne singen und am 1. Oktober jeden Jahres hatten wir mit großem Pomp den chinesischen Nationalfeiertag zu begehen. Mit jedem Tag, der vergeht, werden die tibetischen Kinder in Tibet mehr zu Chinesen.”

Behörden weisen Fernsehsprecher an, pelzbesetzte Kleidung zu tragen

Die Sprecher des Fernsehsenders von Qinghai wurden angewiesen, mit Tierfell verbrämte Kleidung zu tragen, was eine offene Herausforderung der Autorität des Dalai Lama sowie der Ehrerbietung der Tibeter ihm gegenüber darstellt. Infolge des Aufrufs des Dalai Lama, keine aus Tierfellen gefertigten Kleidungsstücke mehr zu tragen, haben in den vergangenen Monaten zahlreiche Tibeter aus dem ganzen Land Pelzkleidung auf Scheiterhäufen verbrannt.

Die Tibeter fanden sich in Einzelgruppen zusammen und warfen ihre kostbaren Pelze enthusiastisch ins Feuer. In Ambo Ngaba, wo die meisten Aktionen stattfanden, wurden weitere Pelzverbrennungen untersagt und mehrere Schlüsselpersonen zum Verhör festgenommen, um herauszufinden, weshalb sie diese Aktionen organisiert haben.

Wie RFA berichtete, stellten die Behörden ihre Befehlsgewalt am 20. April 2006 wieder einmal unter Beweis, als sie die Sprecher des Fernsehsenders von Qinghai anwiesen, Pelzkleidung zu tragen. Offenbar suchten die Vorsitzenden der Abteilungen für Propaganda, Che Xhizen, und für Einheitsfrontarbeit, Rinchen Gyal, persönlich das Hauptquartier des Senders auf und setzten dessen Führung von der neuen Anweisung in Kenntnis. Als sich herausstellte, daß einige Sprecher keine Pelzkleidung besaßen, ließen die Behörden wissen, diese Anweisung sei politisch relevant, und stellten 10.000 Yuan pro Person für die Beschaffung entsprechender Kleidungsstücke zur Verfügung.

Der Chef des Fernsehsenders von Qinhai, Bai Jubi, bestätigte diese Berichte und gab an, der Fonds sei aus ästhetischen Gründen eingerichtet worden: „Ja, es stimmt, die Sprecher haben Geld zum Kauf von Kleidung erhalten... Der Hauptgrund dafür liegt darin, daß ihre Ausstattung alt und nicht sehr farbenfroh ist... Wir sind das Sprachrohr der Regierung. Deshalb unterstützt sie uns mit Geld für neue Bekleidung.“

Die zahlreichen Umweltschützer, die sich unermüdlich für den Schutz gefährdeter Arten engagieren, sind von diesem Vorgehen der chinesischen Regierung in Tibet sehr enttäuscht. Der Dalai Lama setzt sich für den Schutz gefährdeter Tierarten in Tibet ein, seit offenbar wurde, daß Tibet einen florierenden Markt für Tierfelle bietet. Die Anti-Pelzkampagne erhielt dadurch immensen Auftrieb und, inspiriert durch den Dalai Lama, erwuchs vielerorts bei den Tibetern der Wunsch, ihre kostbare Kleidung ins Feuer zu werfen.