Januar 2005
Human Rights Update
Januar 2005
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  1. Vorwort zum Jahresbericht über die Menschenrechtslage in Tibet 2004
    Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
    Bürgerliche und politische Rechte
    Empfehlungen
  2. Todesurteil gegen Tenzin Delek Rinpoche in lebenslange Haft umgewandelt
  3. Portrait eines politischen Gefangenen: Rückkehrer aus dem Exil zu zwölf Jahren Haft verurteilt

Teil 1

Vorwort zum Jahresbericht über die Menschenrechtslage in Tibet 2004

Menschenrechte stehen allen Personen auf Grund ihrer Zugehörigkeit zum Menschengeschlecht zu. Daher brauchen sie nicht von einem Staat verliehen werden noch kann sie ihnen ein Staat entziehen. Jeder Mensch hat Anspruch auf diese Rechte und sie sollten auch von jedermann anerkannt werden. Die Internationale Menschenrechtskonvention und deren Normen garantieren sie jedem Menschen.

Für die Tibeter in Tibet trifft dies allerdings nicht zu. Ihren grundlegenden Freiheitsrechten, wie sie sowohl in der chinesischen Verfassung als auch in diversen nationalen Gesetzen festgeschrieben sind, sind enge Grenzen gesetzt. Wer diese überschreitet, hat mit ernsten Konsequenzen wie Gefängnis oder gar noch Schlimmerem zu rechnen.

Die Tibeter in Tibet haben keine Rechte und keine Freiheit. Ja, das Volk ist sehr frei, frei unter ungesunden Lebensbedingungen und in der Arbeitslosigkeit zu leben! Die Tibeter sind frei, jeder Art von wirtschaftlicher Tätigkeit nachzugehen. Die lukrativen Verdienstmöglichkeiten, die sich den Tibetern in den größeren Städten bieten, lassen sich nur schwer ignorieren. Leider nehmen durch das in Lhasa und anderen urbanen Gegenden reichlich fließende Bargeld auch viele Tibeter üble Gewohnheiten an wie Rauchen, Trinken, Spielen, Drogenkonsum und geben ihr Geld in Karaoke-Bars aus.

Die Chinesen sehen in den Tibetern und anderen nicht han-chinesischen ethnischen Volksgruppen Barbaren und eine Bedrohung für die territoriale Integrität ihres Landes. Die Tibeter sind in ihrer eigenen Heimat zu Opfern dieser tief sitzenden Vorurteile geworden. Die raffiniert ausgeklügelte und seit 45 Jahren betriebene Politik der Verweigerung von grundlegenden Rechten, Freiheiten und Gerechtigkeit hat in Tibet zum kulturellen Genozid geführt.

Die Überwachung der Einhaltung und der Schutz von Menschenrechten (durch die internationale Gemeinschaft) stellen für ein Regierungssystem, das sich bisher praktisch der Straflosigkeit erfreute, einen ungewohnten Angriff dar. Wer die Politik der Regierung hinterfragt, muß mit einschneidenden Konsequenzen rechnen. Darüber hinaus ist es infolge der Geheimhaltungspolitik der Regierung und dem Fehlen jeglicher Transparenz extrem schwierig geworden, Informationen aus den sogenannten ethnischen Minderheitsgebieten Tibet und Xinjiang zu bekommen.

Am meisten Anlaß zu Besorgnis gibt jedoch die wahllose Verurteilung zur Todesstrafe. Trotz der Zusätze zu dem Strafverfahrensgesetz von 1996 werden sowohl das Prinzip der Unschuldsvermutung wie auch das Recht auf Vertretung durch einen Anwalt eigener Wahl weiterhin mißachtet - vielen unschuldigen Menschen wird auf diese Weise ein fairer Prozeß vorenthalten. Des weiteren läßt die ständige Einmischung der Behörden in juristische Verfahren stark an der Unabhängigkeit der Justiz zweifeln. Chinas scharfes Vorgehen gegen jede Art von Dissens unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Terror verletzt die Menschenrechte in gröbster Weise. "Staatssicherheit" ist ein Begriff, den die Regierung ständig bemüht, um Informationen zurückzuhalten, was den Schutz der Menschenrechte erheblich erschwert. Ein aktueller Fall hierzu ist der von Tulku Tenzin Delek.

Der Zeitpunkt, der von China für die Veröffentlichung des Weißbuchs "Fortschritte in Menschenrechtsfragen" gewählt wurde, nämlich am 30. März 2004 während der 60. Sitzung der UN-Menschenrechtskommission (UNHCR) in Genf, war gewiß nicht zufällig. Pekings in derartigen Angelegenheiten an den Tag gelegte neue diplomatische Raffinesse ist nichts Neues für die internationale Gemeinschaft. Das eilig herausgegebene Weißbuch war eher eine Erwiderung auf die US-Resolution zur Menschenrechtslage in China, welche die Vereinigten Staaten bei der UNHCR eingebracht hatten, als eine genuine Darstellung von Fakten. Letzten Endes wurde das Weißbuch von Menschenrechtsgruppen in erster Linie wegen seiner propagandistischen Phrasendrescherei heftig kritisiert. In dem am 23. Mai 2004 veröffentlichten sechsten chinesischen Weißbuch zu Tibet "Regionale ethnische Autonomie in Tibet" wurden die nämlichen Phrasen gedroschen und ansonsten nichts Neues geboten. Der Kommentar der tibetischen Regierung-im-Exil zu dem Papier, in dem sie eine Erwiderung auf den Vorschlag des Dalai Lama bezüglich "echter Autonomie" für Tibet sah, lautete: "Das Weißbuch kann über die wahren und traurigen Zustände in Tibet nicht hinwegtäuschen."

Im September waren die Emissäre des Dalai Lama zum dritten Mal in Peking zu Gast, was den Eindruck einer Fortführung der Verhandlungen zwischen Tibetern und der chinesischen Regierung erweckte. Letztere hat aber nicht etwa aufgehört, den Dalai Lama in seiner internationalen Reisetätigkeit zu behindern. Jahrelang konnte Peking durch Ausübung entsprechenden Drucks den Besuch des Dalai Lama in Rußland verhindern, bis dieser schließlich im September 2004 endlich stattfand. Japans Ankündigung, im April 2005 einen Besuch des tibetischen Oberhaupts zu gestatten, führte zu scharfen Protesten aus dem Chinesischen Außenministerium.

Die Menschenrechtslage in Tibet hat sich auch 2004 nicht gebessert. Es gab keine Lockerung der vielen unpopulären Überwachungsmaßnahmen, und die daraus resultierende Atmosphäre der Angst hält unverändert an. Die Wiederaufnahme der "Kampagne des harten Zuschlagens", die mit neuem Nachdruck durchgeführte "Kampagne zur patriotischen Umerziehung" und die Errichtung eines Lagers für Umerziehung-durch-Arbeit im Distrikt Ngari in der Autonomen Region Tibet (TAR), durch welches der Flüchtlingsstrom eingedämmt werden soll, sind klare Anzeichen für die anhaltende Unterdrückung des tibetischen Volkes. Nach den Aufzeichnungen des Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) sitzen mindestens 150 namentlich bekannte politische Gefangene in den verschiedenen Haftanstalten in Tibet ein (Stand Dezember 2004).

Die Ankündigung der chinesischen Regierung vom 30. November 2004, daß am 1. März 2005 die neue "Verordnung über religiöse Angelegenheiten" in Kraft träte, welche für alle in China vertretenen Glaubensrichtungen gültig ist, erfüllt die in Tibet lebenden Tibeter mit den schlimmsten Vorahnungen. Das TCHRD sieht in dieser Verordnung ein weiteres von dem atheistischen Regime geschaffenes Instrument zur Kontrolle. Diese Verordnung, die erlassen wurde, um "mit der rapiden sozio-ökonomischen Entwicklung Schritt zu halten", wird nach ihrem Inkrafttreten zur Schließung etlicher kleinerer Klöster in Tibet führen. Für alle Tibeter ist Religion ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens, und derartige Einschränkungen sind ein heftiger Eingriff in das ihnen sogar durch die chinesische Verfassung verbürgten Rechtes auf Religionsfreiheit. Tibeter, die ihrer Verbundenheit mit dem Dalai Lama als ihrem spirituellen und weltlichen Oberhaupt Ausdruck verleihen, werden nach wie vor ins Gefängnis geworfen. Die atheistische chinesische Führung mißtraut allen, deren Loyalität nicht ihr allein gilt und ganz besonders denjenigen, die der Religion einen höheren Stellenwert einräumen.

Für die Kommunistische Partei Chinas hat die soziale Ordnung Vorrang vor allen anderen Zielen. Und vor nichts hat sie mehr Angst als vor Unruhen. Die religiösen und ethnischen Spannungen sind sehr groß. Die Zusammenstöße zwischen Hui-Moslems und han-chinesischen Dorfbewohnern in der Provinz Henan, bei denen im November 2004 mindestens sieben Personen starben, trugen zu der zuvor schon explosiven Mischung aus wirtschaftlicher und sozialer Unzufriedenheit bei. An ihnen wird deutlich, welches Potential an chaotischen und auseinanderstrebenden Kräften unter der Oberfläche von Chinas unaufhaltsamem wirtschaftlichem Aufstieg besteht. Konflikte dieser Art sind auch in Tibet nicht auszuschließen, wenn man sich vor Augen führt, wie die Tibeter in allen Lebensbereichen diskriminiert werden.

Angesichts des explosionsartigen wirtschaftlichen Wachstums sind Veränderungen in China trotz der spezifisch chinesischen Charaktereigenschaften unvermeidlich. Im März 2004 wurde das Wort "Menschenrechte", das in China jahrelang tabu war, in die Verfassung aufgenommen - fast ein historisches Ereignis. Die offiziellen staatlichen Medien begrüßten dies überschwenglich als "das erste Mal überhaupt". Allerdings wurde dem Begriff keine weitere Erläuterung beigefügt, so daß viel Raum für seine Interpretation bleibt. Er stellt allerdings die Ernsthaftigkeit von Chinas Anstrengungen in Richtung einer offeneren und demokratischeren Gesellschaft weiterhin in Frage.

Heute, wo China sich seiner Stellung in der Welt immer sicherer wird, sollte sich die übrige Welt darüber im klaren sein, daß China, obwohl es vielleicht ein in der Entwicklung befindliches Land ist, ein sehr bestimmendes Land ist. Dort ist immer noch ein Regime an der Macht, das keine Opposition duldet und brutal gegen Andersdenkende vorgeht. Es ist eines der wenigen heute noch verbliebenen Länder, das keine freien Wahlen mit mehreren Kandidaten kennt, und in dem man ein Leben unter Hausarrest oder Schlimmeres zu befürchten hat, wenn man das Falsche sagt. Chinas Aufstieg geht bedächtig und ruhig vonstatten, aber ob dieses Wachstum eine Wende zum Besseren bringen wird, bleibt offen.

Die Regierungen rund um den Erdball haben die Pflicht, dafür zu sorgen, daß der wachsende Riese mit Achtung gegenüber Menschenrechten und Demokratie aufwächst. Und dies kann nur durch die vereinten Bemühungen der führenden Politiker dieser Welt erreicht werden.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

China hat schon immer den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten mehr Bedeutung zugemessen als den bürgerlichen und politischen. Bezeichnend ist, daß China zwar das Internationale Abkommen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) ratifiziert hat, nicht jedoch das Internationale Abkommen über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR). Auf Grund der Ratifizierung des ICECSR ist China nunmehr verpflichtet, sich an die in diesem Abkommen vereinbarten Prinzipien zu halten.

In Artikel 2 (2) des ICESCR heißt es:

"Die Vertragsstaaten verpflichten sich, zu gewährleisten, daß die in diesem Pakt verkündeten Rechte ohne Diskriminierung hinsichtlich der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status ausgeübt werden."

Im Jahr 2003 erklärte die chinesische Regierung in Bezug auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte:

"Getreu ihrem Prinzip, 'das Volk zuerst', hat die chinesische Regierung weitere Bemühungen zur umfassenden Entwicklung der städtischen und ländlichen Regionen, sowie der Wirtschaft und Gesellschaft allgemein unternommen, um auf diese Weise die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte des Volkes zu fördern."

Trotz der Behauptung der chinesischen Regierung, das Volk über alles andere zu stellen, weisen die Beobachtungen des TCHRD, denen Nachforschungen und Informationen aus Tibet zugrunde liegen, auf das Gegenteil hin. Das TCHRD meint, daß die Auswirkungen des Abkommens daran gemessen werden sollten, ob und inwieweit Einzelpersonen oder Volksgruppen wie etwa die Tibeter tatsächlich in den Genuß der durch das Abkommen garantierten Rechte kommen und ihre Meinung ohne Furcht vor Repressionen frei äußern können.

Die Verweigerung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte wie etwa des Rechts auf Unterricht in der eigenen Muttersprache, ebenso wie eine Entwicklungspolitik, die mit Zwangsumsiedlungen einhergeht, zieht oft ganze Bevölkerungsgruppen in Mitleidenschaft. Menschenrechte sind erst dann wirklich umgesetzt, wenn sich die Menschen, um deren Rechte es geht, dieser nicht nur bewußt sind, sondern auch in der Lage, sie einzufordern und zu verteidigen. Es ist natürlich einzusehen, daß dem Appell, etwas zur Verteidigung wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Rechte zu tun, eher Beachtung geschenkt wird, wenn die betroffenen Einzelpersonen oder Volksgruppen eine Verbindung zwischen der Verweigerung ihrer Rechte und ihrer benachteiligten Existenz und dann einen Rückbezug zu der grundlegenden und rechtlich verbindlichen Pflicht der Regierung herstellen, diese Rechte zu respektieren, zu schützen und umzusetzen.

Angeblich soll die Politik der chinesischen Regierung in Tibet dem Nutzen der einheimischen Bevölkerung dienen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Man muß sich ernsthafte Sorge machen, ob die Tibeter als ein Volk fortbestehen können. Obwohl in Tibet durchaus die Entwicklung vorangetrieben wird und auch einige Erfolge zu verzeichnen sind, verhindert die vorrangige politische Bedeutung, die wirtschaftlichem Wachstum und Fortschritt beigemessen wird, daß irgend etwas von den Wohltaten des Fortschritts bei dem tibetischen Volk ankommt.

Überdies vernachlässigen ausländische Regierungen und multinationale Konzerne in ihrem hektischen Eifer, in Entwicklungsprojekte in Tibet zu investieren, weitestgehend die Bedürfnisse und Interessen der dort lebenden Bevölkerung. Dieser Umstand trägt wesentlich dazu bei, daß der Lebensstandard der Tibeter nicht zu- sondern eher abnimmt.

Bürgerliche und politische Rechte

China hat das Internationale Abkommen über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) am 5. Oktober 1998 zwar unterzeichnet, es aber noch nicht ratifiziert - mit der Begründung, für ein in der Entwicklung begriffenes Land wie es selbst seien die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte des Volkes wichtiger als die bürgerlichen und politischen. Somit ratifizierte China lediglich das Internationale Abkommen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR).

Die Tatsache, daß Peking den ICCPR nicht ratifiziert hat, befreit es jedoch nicht von der Pflicht, die verfassungsmäßigen Rechte seiner Staatsbürger zu garantieren. China ist ebenso verpflichtet, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UDHR) niedergelegten Prinzipien zu achten und einzuhalten. In der Präambel zum ICCPR heißt es eindeutig:

"In der Erkenntnis, daß nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte das Ideal vom freien Menschen, der bürgerliche und politische Freiheit genießt und frei von Furcht und Not lebt, nur verwirklicht werden kann, wenn Verhältnisse geschaffen werden, in denen jeder seine bürgerlichen und politischen Rechte ebenso wie seine wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte genießen kann".

China nützt alle ihm zur Verfügung stehenden diplomatischen Mittel, um eine Beobachtung und Prüfung der Menschenrechtslage im Land zu blockieren. In der Menschenrechtsfrage gibt China bilateralen Gesprächen den Vorzug gegenüber multilateralen, weil es einfacher ist, Druck auf ein einzelnes Land auszuüben, als auf viele gleichzeitig. Während der China-EU Beratungen zur Ratifizierung des ICCPR, die im Juni 2004 stattfanden, versprachen die Vertreter Chinas, sich ernsthaft mit dem Abkommen zu beschäftigen und die Bedingungen für dessen baldige Ratifizierung zu schaffen.

Allerdings decken sich die chinesischen Versprechungen nicht mit dem, was in der Praxis geschieht. 2004 wurde die Meinungs- und Redefreiheit in China massiv unterdrückt. Ein deutliches Beispiel für das Ausmaß der von den chinesischen Behörden ausgeübten Kontrolle der Redefreiheit bietet der Fall der tibetischen Schriftstellerin Woeser, die wegen ihrer Verbundenheit mit dem Dalai Lama und der tibetischen Religion verfolgt wird. Ebenso weist die Festnahme von drei chinesischen Intellektuellen, die kein Blatt vor den Mund nahmen, im Dezember und ihre kurz darauf erfolgte Freilassung, auf das Ausmaß der von Peking gestarteten Kampagne hin, um die Intellektuellen im Lande zum Schweigen zu bringen.

Dem TCHRD wurden 2004 einundzwanzig Fälle von Verhaftungen wegen des Verdachts auf Aktivitäten, in welchen die Regierung eine "Gefährdung der Staatssicherheit" wittert, bekannt - also Aktivitäten, bei denen Freiheit für Tibet gefordert oder auch nur Verehrung für den Dalai Lama ausgedrückt wurde. Des weiteren liegen dem TCHRD Informationen über mindestens 20 Verhaftungen von Tibetern vor, die vor 2004 erfolgten. Nach den Unterlagen des TCHRD beträgt die Anzahl der ihm bekannten politischen Gefangenen 145 Personen (Stand Dezember 2004). Die Neuauflage der "Kampagne des harten Durchgreifens" in der Autonomen Region Tibet (TAR) und die Weiterführung und Intensivierung der "Kampagne zur patriotischen Umerziehung" in den Klöstern sind klare Anzeichen dafür, daß sich die staatliche Kontrolle in Tibet verstärkt hat.

Empfehlungen

An die Regierung der VR China

Bürgerliche und politische Rechte

Bürgerliche Freiheitsrechte

  • Ratifizierung des am 5. Oktober 1998 unterzeichneten Internationalen Abkommens über bürgerliche und politischen Rechte sowie seiner zwei fakultativen Protokolle;
  • Aufnahme einer Definition von Folter in das chinesische Gesetz, die vollständig mit der Definition der Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter (CAT) übereinstimmt;
  • Sicherstellung von unverzüglichen, auf Erfolg ausgerichteten und unparteiischen Ermittlungen im Fall von Foltervorwürfen;
  • Aufhebung aller Formen von Administrativhaftstrafen, so wie es internationalen Normen entspricht;
  • Eindeutige Definierung des Begriffs "Gefährdung der Staatssicherheit" im chinesischen Strafgesetz;
  • Erwägung eines Moratoriums für die Hinrichtung tibetischer politischer Gefangener;
  • Widerruf der Todesstrafe gegen Tulku Tenzin Delek und Wiederaufnahme seines Verfahrens unter fairen Bedingungen, bei dem Tenzin Delek die Vertretung durch unabhängige Rechtsanwälte ermöglicht wird;
  • Freizügigkeit für Tibeter, die Tibet verlassen oder nach Tibet einreisen wollen, ohne Einschränkungen jedweder Art;
  • Gewährung des Rechts auf Meinungs- und Redefreiheit sowie des Rechts auf Selbstbestimmung für das tibetische Volk, damit die Tibeter ihre politische Führung frei wählen und ihre Gedanken ohne Furcht vor Verhaftung oder Verfolgung zum Ausdruck bringen können.

Religionsfreiheit

  • Neubewertung der Rolle der Demokratischen Management-Komitees (DMC) und der "Patriotischen Umerziehungskampagne" in religiösen Institutionen;
  • Freilassung von Gedhun Choekyi Nyima, dem XI. Panchen Lama Tibets, dessen Aufenthaltsort seit Mai 1995 unbekannt ist;
  • Aufhebung der allgemeinen Pflicht für Mönche und Nonnen, sich im Kloster mit der politischen Ideologie zu beschäftigen;
  • Beendigung der Verfolgung von Geistlichen durch Verhaftungen, Verurteilungen und einengende Maßnahmen jeder Art;
  • Einhaltung des 18. Artikels der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UDHR).

Informationsfreiheit

  • Rücknahme der Einschränkungen der Informationsfreiheit;
  • Freier und uneingeschränkter Zugang zu Radio, TV und Internet sowie allen anderen Medien;
  • Revision des chinesischen Rechtssystems mit dem Ziel, es mit dem internationalen Standard für das Recht auf Meinungs- und Redefreiheit in Einklang zu bringen;
  • Einleitung konkreter legislativer und administrativer Schritte zur Umsetzung des im Artikel 35 der Verfassung garantierten Grundsatzes der Pressefreiheit;
  • Überarbeitung der einschlägigen Bestimmungen des chinesischen Strafgesetzes und des Gesetzes über Staatsgeheimnisse, welche das Recht auf Meinungs-, Rede- und Informationsfreiheit verletzen;
  • Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen, um das Problem der in Regierungskreisen üblichen Geheimhaltungspraxis in Angriff zu nehmen;
  • Definierung des Begriffs "Staatsgeheimnisse" im den chinesischen Gesetzen, die das Recht auf Information regeln.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Entwicklung

  • Achtung der im Internationalen Abkommen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) niedergelegten Grundsätze, insbesondere des Rechtes des tibetischen Volkes auf Selbstbestimmung;
  • Beteiligung des tibetischen Volkes am Entwicklungsprozeß und Anerkennung seiner Bedürfnisse bei der Nutzbarmachung von natürlichen Ressourcen;
  • Förderung nachhaltiger, klein dimensionierter Projekte auf lokaler Ebene, die dazu dienen, den grundlegenden Bedürfnissen der Bauern und Nomaden in den westlichen Regionen unmittelbar zu entsprechen;
  • Nutzung der Instrumente des ICESCR als Hilfestellung bei der Debatte über die Armut und ihre Bekämpfung;
  • Stop der Zuwanderungspolitik in Tibet;
  • Stop der Sinisierung des tibetischen Volkes vermittels wirtschaftlicher, sozialer und kultureller politischer Maßnahmen.

Recht auf Bildung

  • Schritte zur Einführung der Schulgeldfreiheit für die neun Pflichtschuljahre für alle tibetischen Kinder;
  • Konkrete Maßnahmen, um auch den Bewohnern der entlegenen Gegenden Tibets Zugang zu schulischer Bildung zu verschaffen;
  • Eine Garantie für alle tibetischen Kinder auf Schulbildung in ihrer Muttersprache und die Chance zum Erwerb von Kenntnissen über ihre eigene Kultur;
  • Gründliche Überarbeitung der Geschichtsbücher und Streichung jeglicher herabsetzender Darstellung der tibetischen Geschichte.

An internationale Organisationen und Regierungen

  • Menschenrechtsfragen zu einer notwendigen Vorbedingung für alle bilateralen oder multilateralen Gespräche mit der chinesischen Regierung erheben;
  • Ausübung von Druck auf China, damit im Hinblick auf die Erfüllung der Menschenrechtsverträge konkrete Resultate vorgelegt werden;
  • Appell an China zur Freilassung von Gedhun Choekyi Nyima und allen anderen politischen Gefangenen in Tibet;
  • Aufforderung an China, konkrete Schritte zur Abschaffung der Todesstrafe zu unternehmen;
  • Aufforderung an China, dem tibetischen Volk das Recht auf Freizügigkeit von und nach Tibet zu gewähren und Exiltibetern die Rückreise ohne Furcht vor Verfolgung oder Verhaftung zu gewährleisten;
  • China zu ernsthaften und konstruktiven Gesprächen mit den Repräsentanten des tibetischen Volkes bewegen;
  • Aufforderung an China, das tibetische Volk an allen Entwicklungsprojekten in seinem Land mitwirken zu lassen;

An multinationale Unternehmen und Konzerne

  • Garantie der Mitwirkung von Tibetern in allen Stadien von Entwicklungsprojekten;
  • Erstellen umfassender Studien über die Sozial- und Umweltverträglichkeit und die voraussichtlichen Auswirkungen der geplanten Projekte;
  • Nachhaltige Entwicklungsinitiativen, die der Gemeinschaft den gewünschten Nutzen bringen;
  • Beachtung des Grundsatzes: Ein jedes Projekt in Tibet sollte die Gefühle und Werte des tibetischen Volkes respektieren.

Teil 2

Todesurteil gegen Tenzin Delek Rinpoche in lebenslange Haft umgewandelt

Die chinesische Regierung hat das Todesurteil gegen Tenzin Delek Rinpoche in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. Die amtliche chinesische Nachrichtenagentur der VR China, Xinhua, berichtete: "Der Oberste Volksgerichtshof der Provinz Sichuan in Südwestchina wandelte das mit zweijährigem Aufschub ausgesprochene Todesurteil gegen einen tibetischen Mönch, der an terroristischen Sprengstoffanschlägen beteiligt war, am Mittwoch in eine lebenslängliche Haftstrafe um."

Des weiteren verfügte das Gericht: "A'an Zhaxi, auch unter dem Namen Tenzin Delek Rinpoche bekannt, wurde heute davon in Kenntnis gesetzt, daß er für den Rest seines Lebens aller politischer Rechte entkleidet ist."

Das Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) vermutet, daß in weiten Kreisen mit einer solchen Entscheidung gerechnet wurde, denn in der Vergangenheit wurde in ähnlichen Fällen analog verfahren. Trotz der Nachricht über die Aufhebung des Todesurteils fordert das TCHRD von der chinesischen Regierung nach wie vor die Neuaufnahme des Verfahrens unter fairen Umständen, bei denen dem Tulku Verteidiger seiner Wahl zugestanden werden.

Der Tulku, ein hoch angesehener tibetischer Mönch und ein sozial engagierter Mensch, der sich lautstark für Aktivitäten des Umweltschutzes, sowie den Erhalt des tibetischen Buddhismus und der tibetischen Kultur einsetzte, wurde wegen angeblicher Beteiligung an Sprengstoffexplosionen im Jahr 2002 in Chengdu in der Provinz Sichuan verhaftet.

Am 7. April 2002 wurde er vor dem Mittleren Volksgerichtshof Kardze wegen "Beteiligung an terroristischen Sprengstoffanschlägen und Aufhetzung zum Separatismus" angeklagt. Am 2. Dezember 2002 wurde er mit zweijährigem Aufschub zum Tode verurteilt, während das Todesurteil gegen seinen Mitangeklagten Lobsang Dhondup, einen seiner Mitarbeiter, am 26. Januar 2003 vollstreckt wurde.

Der Gerichtshof der Provinz Sichuan behauptete zwar, der Tulku habe das Verbrechen gestanden, aber dem TCHRD liegen Informationen aus verläßlichen Quellen vor, die besagen, er habe niemals ein Geständnis abgelegt, sondern eine Neuaufnahme des Prozesses gefordert, was jedoch abgelehnt wurde.

Das TCHRD ist davon überzeugt, daß der Tulku unschuldig ist und fälschlicherweise mit den Sprengstoffanschlägen in Verbindung gebracht wurde; es fordert die Regierungen und die internationalen Menschenrechtsorganisationen dringend dazu auf, weiterhin Druck auf China auszuüben, damit dem Tulku ein freier und fairer neuer Prozeß zugestanden bzw. daß er sofort und bedingungslos freigelassen wird.

Teil 3

Portrait eines politischen Gefangenen: Rückkehrer aus dem Exil zu zwölf Jahren Haft verurteilt

Der 37-jährige Tashi Gyatso stammt aus der Gemeinde Darlag, Distrikt Machen, TAP Golok, Provinz Qinghai. Er kommt aus einer Nomadenfamilie und hat seinen Angehörigen seit frühester Kindheit bei der Viehhaltung geholfen. 1996 reiste er nach Indien, um dort schulische Bildung zu erlangen. Er lernte drei Jahre lang fleißig und erwarb so Kenntnisse in tibetischer und englischer Sprache.

2001 macht er sich zusammen mit Lotse und Lobsang Dhargay auf, um nach Tibet zurückkehren. Unglücklicherweise stießen sie beiden an der nepalesisch-chinesischen Grenze auf eine chinesische Grenzpatrouille. Tashi konnte entkommen und kehrte nach Nepal zurück. Nach einigen Tagen glückte ihm schließlich der Grenzübertritt nach Tibet. Er reiste über Lhasa in den Distrikt Chabcha und kam dort am 5. Mai 2001 an. Er mietete ein Zimmer in einem Hotel und stand gerade unter der Dusche, als plötzlich ein Trupp PSB-Beamter in den Raum eindrang. Die Polizisten durchwühlten das Zimmer und entdeckten Fotos des Dalai Lama und politische Schriften. Tashi wurde sofort zum örtlichen Haftzentrum des PSB gebracht. Man beschuldigte ihn politischer Aktivitäten und schaffte ihn ins Distrikthaftzentrum von Xiling. Drei Monate lang verhörten ihn dort die PSB-Offiziere intensiv und folterten ihn, um ihn zu zwingen, ein Geständnis über seine Aktivitäten und seine Motive abzulegen. Anschließend wurde er ins Haftzentrum des Distrikts Machen zurückgebracht.

Nach zwei Monaten Haft in Machen wurde er vom dortigen Distriktgericht wegen "Gefährdung der Staatssicherheit und Verbreitung von regierungsfeindlicher Propaganda" zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Er wurde in ein Zwangsarbeitslager im Distrikt Xiling verlegt, in dem die Insassen Ziegel herstellen müssen. Nur einmal monatlich darf Tashi Besuch von seiner Familie empfangen.

Infolge der harten Gefängnisarbeit bei gleichzeitiger unzureichender Ernährung und der häufigen Folterungen hat sich Tashis Gesundheitszustand erheblich verschlechtert.