Juli 2004
Human Rights Update
Juli 2004

Inhalt

  1. Ngawang Woeser, ein prominenter Anführer der Demonstration vom 27. September 1987, ist endlich frei
  2. Ein neues Straflager zur "Umerziehung-durch-Arbeit" in Tibet
  3. Bauern besorgt wegen Straßenbauprojekt
  4. Aids in Tibet
  5. Dritter Fluchtversuch in die Freiheit geglückt
  6. Mönch wegen Cassetten mit Belehrungen des Dalai Lama zu zwei Jahren Haft verurteilt
  7. Internetfirmen beugen sich der Zensur durch die chinesische Regierung
  8. Mönch wegen Indienreise aus dem Kloster ausgeschlossen
  9. Vorgaben der Behörden führen zu miserablen Lebensbedingungen für Nomaden
  10. Fünf Jahre Gefängnis für das Abspielen eines Lieds über den Exil-Märtyrer Thupten Ngodup

Teil 1

Ngawang Woeser, ein prominenter Anführer der Demonstration vom 27. September 1987, ist frei

Dem TCHRD liegen bestätigte Informationen über die Freilassung von Ngawang Woeser vor, der einer der Hauptorganisatoren bei der berühmten friedlichen Demonstration für die Unabhängigkeit Tibets vom 27. September 1987 in Lhasa war. Er wurde am 18. April 2004 aus dem Drapchi-Gefängnis entlassen, nachdem er 15 Jahre Haft verbüßt hatte. Auf Grund der im Gefängnis erlittenen Folterungen und der unmenschlichen Behandlung, der er dort ausgesetzt war, hat sich sein Gesundheitszustand mehr und mehr verschlechtert. Zur Zeit ist er sehr schwach und hat massiv an Gewicht verloren.

Gemeinsam mit einem anderen von insgesamt zwanzig Drepung-Mönchen initiierte er die erste friedliche Unabhängigkeits-Demonstration in Lhasa seit der Besetzung Tibets durch die Chinesen im Jahr 1959. Sie konnten nur ein paar Minuten demonstrieren, und schon wurden die Mönche von den Sicherheitskräften (Public Security Bureau) festgenommen.

Ngawang Woeser wurde zuerst im Gutsa-Untersuchungsgefängnis inhaftiert und nach vier Monaten wieder freigelassen. Er und einige seiner engsten Freunde bildeten anschließend im Kloster Drepung einen geheimen Zusammenschluß von zehn Personen. Diese "Zehnergruppe" wollte Flugblätter, auf denen die Unabhängigkeit gefordert wurde, und die tibetische Übersetzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen verbreiten.

Am 19. April 1989 verhaftete der Geheimdienst der TAR jedoch Ngawang Woeser und neun seiner Freunde in ihrem Kloster. Man beschuldigte sie der Verbreitung von staatsfeindlichen Dokumenten und inhaftierte sie im Untersuchungsgefängnis des PSB der TAR.

Am 28. November 1989 stellte die Volksregierung der TAR, Standort Lhasa, die zehn gemeinsam vor Gericht. Wegen Bildung eines Geheimbundes für die Unabhängigkeit Tibets, konterrevolutionärer Aktivitäten, Aufhetzung zu spalterischen Aktivitäten, Verrat von Staatsgeheimnissen sowie weiterer Anklagepunkte wurde Ngawang Woeser zu 17 Jahren Haft verurteilt, während die anderen Mönche Haftstrafen zwischen 5 und 17 Jahren erhielten.

Die Namen der zehn Mitglieder der Gruppe sind: Ngawang Woeser, Ngawang Phulchung, Jamphel Jangchup, Ngawang Gyaltsen, Jamphel Losel, Jamphel Monlam, Ngawang Rinchen, Kalsang Thutop (der im Juli 1996 im Gefängnis verstarb), Jamphel Tsering und Ngawang Kunga.

Nach der Urteilsverkündung wurde Ngawang Woeser am 15. Januar 1990 ins Drapchi Gefängnis verlegt. Bei seiner Ankunft dort wurde er von den Wachen derart brutal geschlagen, daß er Blutergüsse und Wunden im Gesicht davontrug. Im Laufe seines 15-jährigen Martyriums in Drapchi mußte Ngawang Woeser viele körperliche Torturen erdulden und "Reform-durch-Arbeit" und "Zwangsumerziehung" über sich ergehen lassen. Die besten Jahre seines Lebens verbrachte er hinter Gittern. Obwohl er nun entlassen wurde, hat doch die jahrelange Inhaftierung in diesem entsetzlichen Gefängnis seine Gesundheit dauerhaft geschädigt.

Ngawang Woeser (Laienname: Jamyang) ist heute 35 Jahre alt; er wurde im Distrikt Dranang in der Region Lhoka geboren und von Verwandten aufgezogen. 1981 trat er in das im Westen der Stadt Lhasa gelegene Kloster Drepung ein.

Obschon die meisten Mitglieder der "Zehnergruppe" nach und nach entlassen wurden, verbüßen sowohl der Leiter der Gruppe, Ngawang Phulchung, als auch Jamphel Jangchup immer noch Haftstrafen von 19 Jahren in Drapchi, während Ngawang Gyaltsen weiterhin seine Strafe von 17 Jahren absitzt.

Amnesty International, die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen und viele besorgte Einzelpersonen haben sich intensiv für die unverzügliche Entlassung von Ngawang Woeser nach seiner langen Haftzeit eingesetzt. Der Internationale PEN-Club Schottland (PEN Scottish Centre) hat Ngawang Woeser am 15. April 1999 zum Ehrenmitglied ernannt.

Teil 2

Ein neues Straflager zur "Umerziehung-durch-Arbeit" in Tibet

In der Gemeinde Senge, Distrikt Ngari, TAR, wurde ein neues Lager zur Umerziehung-durch-Arbeit (chin. laojiao) wurde eingerichtet. Die Strafanstalt, die etwa 200 Häftlinge aufnehmen kann, wurde nach Abschluß der Bauarbeiten im Monat Juli in Betrieb genommen.

Der Zeitung Tibet Daily vom 21. Juli 2004 zufolge ist "das Lager zur Umerziehung-durch-Arbeit, das sich an dem Fren Xin Highway in der 4.300 m hoch gelegenen Gemeinde Senge im Distrikt Ngari befindet, jetzt betriebsbereit. Die Entwicklungs-Abteilung hat 8 Mio. Yuan in den Bau des neuen Lagers investiert. Es kann zweihundert Insassen aufnehmen und umfaßt eine Fläche von 40.000 Quadratfuß. Die Entfernung von Lhasa City nach Ngari ist mit 1.760 km ziemlich groß, und der Transport der Häftlinge über diese Strecke ist nicht sicher. Die Justizvollzugsabteilung der TAR hat sich mit der zuständigen zentralen Stelle in Verbindung gesetzt, und im Juni 2003 hat die Staatliche Entwicklungsbehörde eine Summe von 8 Mio. Yuan bereitgestellt, damit die Arbeit zum Bau des Umerziehungslagers in der Region Ngari in Angriff genommen werden kann. Das neu errichtete Lager zur Umerziehung-durch-Arbeit wird für soziale Stabilität in der Präfektur Ngari sorgen".

Das TCHRD sieht in dem neuen Lager zur Umerziehung-durch-Arbeit ein Mittel zur Umsetzung der harten Linie der Regierung bei der Verfolgung der aus Tibet fliehenden Menschen und der Unterdrückung von politischem Dissens in der Region. Ngari liegt auf der Route, entlang der die Tibeter nach Indien zu fliehen oder von dort zurückzukehren pflegen. Mit dieser neu errichteten Strafanstalt können die Behörden in großem Maßstab gegen diesen Personenkreis vorgehen.

Es gibt bereits zwei voll funktionsfähige Lager zur Umerziehung-durch-Arbeit in der TAR. Das Arbeitslager Trisam westlich von Lhasa wurde im Januar 1992 gebaut. Tibeter, die Ende der achtziger Jahre an Demonstrationen teilnahmen, kamen damals nach Trisam. In den Anfangsjahren konnte es 70 Häftlinge unterbringen. Im Januar 1998 wurde ein weiteres Lager zur Umerziehung-durch-Arbeit in Zithang in der Nähe des Kreises Chamdo, Präfektur Chamdo, TAR, eingerichtet. Ngawang Senge, Chime Lobsang, Gonpo und Tashi Nyima aus dem Kloster Drakyab waren die ersten Insassen dieser Anstalt.

Gemäß dem chinesischen Administrativ-Strafgesetz kann die Haft in einem Lager zur Umerziehung-durch-Arbeit von 6 Monaten bis zu 3 Jahren betragen, wobei sie im Falle mangelnder Besserung eines Häftlings um ein Jahr verlängert werden kann. Eine Person kann ohne ordentlichen Prozeß von einem örtlichen Zweig des Public Security Bureau (PSB) oder von dem Management-Komitee für Umerziehung-durch-Arbeit dorthin verbracht werden. Obwohl diese Arbeitslager dem Völkerrecht zufolge unter die Kategorie der Gefängnisse fallen, stuft die chinesische Regierung sie nicht als solche ein.

In den letzten Jahren haben die chinesischen Behörden immer häufiger zur Inhaftierung in Arbeitslagern gegriffen, um politisch aktive Tibeter oder Flüchtlinge zu maßregeln. Die neue Strafanstalt in der Region Ngari ist somit eine weitere Einrichtung zu dem Zweck, den Strom der ins Exil fliehenden Tibeter oder derjenigen, die von der nepalesischen Grenze nach Tibet zurückkehren, einzudämmen. Der Bewegungsspielraum von Tibetern, welche die Reise in die Freiheit antreten wollen, wird wegen dieses harten Vorgehens der Regierung nun immer kleiner werden.

Das TCHRD ist die erste tibetische NGO, die sich zur Aufgabe gemacht hat, "auf die Menschenrechtssituation in Tibet hinzuweisen und die Prinzipien der Demokratie in der tibetischen Gemeinschaft zu fördern". Das TCHRD, das im Januar 1996 gegründet wurde, ist unabhängig von der Tibetischen Regierung-im-Exil und hat seinen Sitz in Dharamsala, Indien.

Teil 3

Bauern besorgt wegen Straßenbauprojekt

Lama Dorjee, 38, ein Bauer aus dem Dorf Bugod, Distrikt Gonjo, Präfektur Chamdo, berichtete dem TCHRD über ein Straßenbauprojekt in seiner Heimat:

"Im April 2004 begannen die chinesischen Behörden über eine Strecke von 120 km Länge mit dem Ausbau der bereits vorhandenen Piste zur Landstraße. Die Bauern sind deswegen sehr besorgt, denn die Straße wird quer durch ihre Äcker verlaufen. Viele von ihnen haben bereits ihr Land verloren. Trotzdem haben die meisten zuviel Angst, um in dieser Sache bei den Behörden vorzusprechen. Die etwa 400 Bauernfamilien im Distrikt Gonjo haben sich viele Generationen lang vom Ackerbau ernährt. Sie bauten Getreide, Senf, Bohnen, Kartoffeln usw. an. In guten Jahren konnten sie bis zu 150 kg Getreide ernten."

Lama Dorjee zufolge wird die Straße ausgebaut, um das geschlagene Holz abtransportieren zu können. Er sagte dem TCHRD: "In der Gegend Sa-ngan Med des Distrikts Gonjo gibt es viele Bäume. Der Straßenbau erleichtert den Chinesen den Holztransport. Sie haben schon 30 % des Baumbestands abgeholzt, und wenn die Landstraße fertig ist, können sie sich den Rest auch noch mühelos holen."

Des weiteren berichtete Lama Dorjee von den Tibetern, die in letzter Zeit in Gonjo umgesiedelt wurden: "Die chinesischen Behörden hatten die Umsiedlung von ungefähr 2.400 Familien aus den Dörfern Jangsum, Langmed, Khori, Shiri, Motsa und Jamsam des Distrikts Gonjo nach Kongpo angeordnet. Nach der Vertreibung dieser Menschen von ihrem angestammten Land ließen die Behörden die Bäume fällen und fuhren das Holz in Lastwagen ab. Die Behörden hatten die Umsiedlung der Tibeter aus Gonjo damit begründet, daß viele der Dörfer zu dicht am Drichu Flusses lägen."

Teil 4

Aids in Tibet

Vom 11.-16. Juli wurde in Bangkok die XV. Internationale Aidskonferenz abgehalten. Die Teilnehmer diskutierten über den dringenden Handlungsbedarf angesichts der weltweiten Aids-Epidemie. Bisher ist Tibet noch nicht im Würgegriff der Krankheit, aber für die Zukunft kann eine solche Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden.

Obwohl es bislang keinen einzigen offiziellen Bericht über die Verbreitung von Aids in Tibet gibt, ist nicht auszuschließen, daß die weltweite Epidemie eines Tags auch auf dem Hochplateau wüten wird, denn die Bedingungen auf dem Dach der Welt sind derart, daß die Krankheit epidemische Ausmaße annehmen könnte.

Die ärmsten Regionen der Welt sind am stärksten von Aids betroffen, und Tibet ist ein unter chinesischer Besetzung verarmtes Land. Die tibetischen Landbewohner wissen nichts über die Krankheit und viele junge tibetische Mädchen lassen sich aus wirtschaftlichen Gründen ins Sexgeschäft der Städte locken. Es mangelt in Tibet an Aufklärung über Aids ebenso wie an den entsprechenden Untersuchungsmöglichkeiten.

Die Provinz Yunnan ist, wie jedermann weiß, die am stärksten von Aids befallene Provinz in China – dicht gefolgt von Sichuan. In beiden gibt es einen großen Anteil an tibetischer Bevölkerung, da die traditionelle tibetische Provinz Kham diesen beiden Provinzen einverleibt wurde. Auf Grund der geographischen Nähe zu Yunnan und Sichuan sind die außerhalb der TAR wohnenden Tibeter mehr gefährdet.

Angesichts des gewaltigen Zustroms chinesischer Siedler nach Tibet bilden die vielen Singles unter ihnen sowie die chinesischen Prostituierten (welche das Sexgewerbe dominieren, obwohl die Anzahl der bisher nur marginal vertretenen Tibeterinnen steigt) eine potentielle Gefahr für die Verbreitung von Aids in städtischen Gebieten. Einem Bericht in Tibet Daily vom 7. Juni 2004 zufolge wurde der erste Aids-Fall in der TAR im Jahr 1994 festgestellt. Seither wurden elf weitere Erkrankungen registriert.

Teil 5

Dritter Fluchtversuch in die Freiheit geglückt

Samten Gyatso, 23, stammt aus dem Dorf Rolo, Gemeinde Trenchuemoda, Distrikt Chamdo, Präfektur Chamdo, TAR. Nachdem er zum dritten Mal die Flucht gewagt hatte, traf er am 20. Juli 2004 in Nepal ein. Samten begab sich inzwischen auf Pilgerfahrt in Indien und hofft auf eine Audienz beim Dalai Lama.

Er berichtete dem TCHRD: "Ich bin von Tibet nach Indien gekommen, um zu den heiligen buddhistischen Stätten zu pilgern und den Segen des Dalai Lama zu erbitten. Erst beim dritten Versuch gelang es mir, die Grenze zu überqueren. Die ersten beiden Male hatte ich Pech und landete im Gefängnis.

Den ersten Fluchtversuch unternahm ich am 7. August 2003 von Lhasa aus. Wir waren eine Gruppe von 13 Personen - außer mir waren es noch neun Mönche und drei Frauen. Jeder von uns zahlte dem Guide 2.500 Yuan, damit er uns über die Grenze brächte. Als wir jedoch in der Nacht des 9. August an der Grenze zwischen den Distrikten Lhatse und Dingri ankamen, tauchten plötzlich 10 PSB-Beamte vor uns auf. Sie fesselten uns die Hände auf dem Rücken und beschimpften uns als Gefolgsleute der "Dalai-Clique", die nach Indien fliehen wollten. Einige von ihnen drückten ungeladene, auf unsere Köpfe gerichtete Pistolen ab, um uns einzuschüchtern, während andere brutal auf uns einschlugen. Wir wurden ins PSB-Haftzentrum Lhatse gebracht und zu zweit in Zellen gesperrt. An diesem Tag taten sie uns noch nichts an. Am folgenden Tag wurden wir ins Büro gerufen und von sieben PSB-Beamten verhört. Sie fragten uns nach unseren Reisegenehmigungen und unserer Bürger-Registrierungsnummer (shen fren zhang). Wir erklärten den Beamten, wir seien auf Pilgerfahrt zum Berg Kailash, aber sie wußten, daß wir logen. Zwei Beamte nahmen sich Kunga vor. Sie hielten ihn an den ausgestreckten Händen fest, und dann nahm ein anderer seinen Gürtel ab und drosch damit auf Kungas Rücken ein, bis er ganz blutunterlaufen war. Wir waren 15 Tage lang eingesperrt und wurden während dieser Zeit fünfmal verhört, wobei die Beamten uns auf den Kopf schlugen, ohrfeigten und mit ihren Stiefeln brutal nach uns traten.

Nach zwei Wochen luden sie uns in einen LKW und nahmen jedem von uns 30 Yuan ab. Der Fahrer wurde angewiesen, uns nach Shigatse zu bringen; von dort sollten wir in unsere Heimatorte zurückkehren. Als er in uns in Shigatse abgesetzt hatte, gingen wir wieder nach Lhasa. Nachdem ich mich dort vier Monate lang aufgehalten hatte, brach ich am 13. November 2003 zu meinem zweiten Fluchtversuch auf. Diesmal war unsere Gruppe kleiner und umfaßte nur fünf Personen. In Shigatse übernachteten wir in einem Hotel, das einem chinesischen Moslem gehörte. Um 22.00 Uhr kamen PSB-Beamte in unser Zimmer und verlangten unsere shen fren zhang zu sehen. Keiner von uns hatte dieses Dokument dabei. Als die Beamten daraufhin unsere Taschen durchsuchten, entdeckten sie einen Behälter mit Tsampa (gerösteter Gerste), ein Paar Schuhe und eine große Plastikfolie. Für sie war damit bewiesen, daß wir nach Nepal fliehen wollten. Wir sagten ihnen jedoch, wir seien auf dem Weg zum Kloster Tashi Lhunpo und der großen Stupa von Gyantse. Wir wurden trotzdem zehn Tage lang im PSB-Haftzentrum von Shigatse inhaftiert. Sie brachten uns getrennt in Zweier-Zellen unter. An den nächsten Tagen wurden wir immer wieder zu zweit verhört und dabei alle schwer geschlagen. Ein Junge namens Ngawang Gyaltsen wurde besonders brutal von vier PSB-Beamten verprügelt. Sie rammten ihm einen elektrischen Schlagstock in den Magen und als er umfiel, traten sie mit ihren Stiefeln nach ihm. Er hatte schwere Blutergüsse, als er in die Zelle zurückgebracht wurde. Obwohl es ihm in dieser Nacht äußerst schlecht ging, bekam er keine Medikamente.

Nach zehn Tagen wurden wir schließlich freigelassen. Die Beamten befahlen uns, nach unserer Pilgerfahrt zum Kloster und der Stupa nach Lhasa zurückzukehren. Am 23. Mai 2004 machte ich mich mit einer Mutter und ihrem Sohn zu meinem dritten Fluchtversuch auf. Jeder von uns zahlte 3.000 Yuan an einen Händler, der auf Geschäftsreise in Lhasa war. Er brachte uns über die Dram (nepalesisch-tibetische Grenzortschaft) und die "Friendship Bridge" nach Nepal. Von dort aus reisten wir weiter zum Empfangszentrum für tibetische Flüchtlinge in Kathmandu.

Teil 6

Mönch wegen Cassetten mit Belehrungen des Dalai Lama zu zwei Jahren Haft verurteilt

Jamphel Gyatso, 35, wurde im Dorf Phu, Gemeinde Mangbu, Distrikt Lhatse, in der TAR geboren. Er konnte nur sechs Monate lang die Dorfschule besuchen und hütete von da an das Vieh der Familie. Mit 16 Jahren trat er ins örtliche Mangkar Dharling Kloster ein, wo er die nächsten neun Jahre buddhistische Schriften studierte. Auf Grund der Empfehlungen der Kloster- und Dorfverwaltung wurde er mit 25 Jahren in Sera, einem der großen tibetischen Klöster in Lhasa, aufgenommen.

Ab 1996 suchten chinesische Arbeitsteams wiederholt Mangkar Dharling auf, um dort im Rahmen der "Kampagne für Patriotische Erziehung" ihren Unterricht abzuhalten. Die Mitglieder des Arbeitsteams schrieben an Jamphel nach Lhasa, er solle in sein Kloster zurückkehren. Jamphel reagierte nicht auf diese Aufforderung und blieb weiter in Sera. Daraufhin drohten die Behörden Jamphels Familie mit ernsthaften Konsequenzen, falls es ihnen nicht gelänge, Jamphel zur Rückkehr zu bewegen. Als Jamphel immer noch nicht zurückkam, schlossen die Behörden ihn aus dem Kloster aus. Nach Beendigung des patriotischen Unterrichts erhielt jeder der Mönche eine rote Karte auf der die "Rechte der Mönche" aufgeführt waren.

1998 lief die Kampagne "Liebe dein Land, liebe deine Religion" im Kloster Sera an. Man brachte den Mönchen im Unterricht bei, Tibet sei ein integraler Bestandteil Chinas. Die Mönche mußten abfällige Bemerkungen über den Dalai Lama machen, und es wurden Verordnungen erlassen, die das Aufstellen seines Bildnisses verboten. Die Mönche waren wegen dieser Entwicklungen in ihrem Kloster sehr bedrückt.

Am Vorabend des Jahrestags des tibetischen Aufstands hißte Jamphel als Zeichen seines Protests um drei Uhr morgens die tibetische Flagge auf dem Dach des klösterlichen Wasserreservoirs. Die im Kloster stationierten Polizisten forschten zwar nach, aber sie fanden nicht heraus, daß er es gewesen war.

Gegen Mitternacht am 12. September 2001 hörte Jamphel in seinem Zimmer heimlich Kassetten mit Lehrreden des Dalai Lama. Plötzlich trat jemand gegen die Tür und brüllte, er solle sie sofort öffnen, was er auch tat. Fünf der im Kloster stationierten Kriminalbeamten standen vor ihm. Sie durchsuchten den Raum und beschlagnahmten mehrere Tonbandkassetten. Anschließend schleppten sie ihn ins PSB-Büro des Klosters und vernahmen ihn dort. Danach wurde er zum Public Security Bureau von Lhasa gebracht. Dort wurde er wieder intensiv verhört, bevor man ihn ins Haftzentrum Gutsa im Norden von Lhasa schaffte, wo er drei Monte inhaftiert war und während der Verhöre schwer geschlagen wurde.

Der Mittlere Volksgerichtshof Lhasa stellte Jamphel wegen "Antiregierungspropaganda" unter Anklage und verurteilte ihn zu zwei Jahren Haft und der Aberkennung der politischen Rechte für ein Jahr.

Jamphel wurde zusammen mit einem gewissen Migmar aus Lhasa ins Gefängnis Drapchi verlegt, um dort seine Strafe zu verbüßen. Zusammen mit anderen Gefangenen mußte er Unterricht in politischer Erziehung mit anschließenden Fragestunden über sich ergehen lassen. Wenn die Antworten nicht zufriedenstellend ausfielen, wurden den Gefangenen die Hände auf den Rücken gefesselt, bevor man mit Stiefeln auf sie eintrat.

Jamphel Gyatso wurde am 8. August 2003 nach Verbüßung seiner Strafe aus der Haft entlassen. Nach der Rückkehr in seine Heimatgemeinde mußte er sich regelmäßig beim dortigen PSB melden. Unter dem Vorwand, medizinische Behandlung zu suchen, ging Jamphel schließlich nach Lhasa. Dort blieb er einige Monate lang und floh im April 2004 ins Exil. Er lebt jetzt in der tibetischen Exilgemeinde in Dharamsala.

Teil 7

Internetfirmen beugen sich der Zensur durch die chinesische Regierung

Wie Reporter ohne Grenzen am 27. Juli 2004 berichteten, zensieren die bedeutenden US-Internet-Firmen Yahoo und Google nun auf Befehl der chinesischen Regierung ihre Informationen. Der Report bezeichnete das Verhalten der beiden Firmen als "bedauerlich" und forderte sie dazu auf, "ihr verantwortungsloses Geschäftsgebaren zu revidieren und sich an die Grundsätze der Informationsfreiheit zu halten."

In beiden Suchmaschinen wurden die Suchbegriffe zensiert. So werden auf Eingaben wie "Free Tibet" hin keine Informationen herausgegeben. Bei bestimmten anderen Wortkombinationen hat man nur Zugriff auf offizielle Web-Sites. Das US-Unternehmen Cisco hat mehrere Tausend Router im Wert von 16.000 Euro pro Stück verkauft, die das Regime zum Aufbau eines Internet-Überwachungssystems befähigen sollen. Ingenieure der Firma haben dabei geholfen, die Router mittels Schlüsselbegriffen so zu konfigurieren, daß "subversive" Mitteilungen identifiziert werden können. Des weiteren ermöglicht das System der Polizei festzustellen, wer verbotene Web-Sites angeklickt oder "gefährliche" e-mails verschickt hat, berichtete Reporter ohne Grenzen.

Im September 2002 war die beliebte Suchmaschine Google zwei Wochen lang blockiert worden, weil das Unternehmen sich der Zensur verweigert hatte. Jetzt hat Google angesichts der Verlockungen des gigantischen chinesischen Marktes anscheinend kapituliert und sich der Forderung der Regierung gebeugt. Peking zensiert schon längst Hunderte von Websites westlicher Medien, politischer und religiöser Dissidenten und andere Inhalte, die das kommunistische Regime als eine Bedrohung empfindet.

Teil 8

Mönch wegen Indienreise aus dem Kloster ausgeschlossen

Der 33 Jahre alte Phuntsok Gyatso wurde im Dorf Chang in der TAP Tsojang, Provinz Qinghai, geboren. Er ist ein ehemaliger Mönch des Klosters Mokunde, aus dem er jedoch ausgeschlossen wurde, weil er nach Indien gereist war. Zusammen mit ihm wurden neun weitere Mönche aus dem Kloster hinausgeworfen.

Phuntsok berichtete dem TCHRD: "Mit siebzehn wurde ich Mönch in Mokunde. Nach einigen Jahren in diesem Kloster wollte ich meine religiösen Studien in einem Kloster in Südindien vertiefen. Ich traf dort im Dezember 1994 ein und trat ins Kloster Gaden ein, wo ich die nächsten fünf Jahre blieb und die buddhistischen Schriften studierte. Im Januar 1999 kehrte ich nach Tibet zurück.

Nach der Rückkehr in mein altes Kloster erzählte ich den anderen Mönchen von dem Freiheitskampf, welchen die Tibeter im Exil führen. Ich erklärte ihnen auch den Aufbau der tibetischen Regierung-im-Exil.

Am 14. Oktober 1999 traf ein offizielles Schreiben im Kloster an, in dem der Ausschluß aller aus dem Exil zurückgekehrten Mönche gefordert wurde. Der Verwaltung des Klosters wurden für den Fall einer Nichtbefolgung der Order schwere Strafen angedroht. Als Absender des Briefes figurierten das Religionsbüro, das Public Security Bureau, die Vereinte Arbeitsfront und die Trinshin-Abteilung. Infolge der Order wurden folgende zehn Mönche aus dem Kloster ausgeschlossen: Khenrap Gyatso, 30, Lobsang Dhondup, 32, Gedun Rabgay, 31, Sonam Gyatso, 32, Lobsang Anyen, 28, Lobsang Wangchuk, 25, Chokden, 26, Sherab, 27, Sangay, 21, und ich. Die Behörden wiesen das Kloster ausdrücklich an, daß wir nicht wieder aufgenommen werden dürften.

2002 begab ich mich wieder nach Indien und blieb ein Jahr lang. 2003 kehrte ich jedoch nach Tibet zurück und hielt mich eine Weile in Lhasa auf. Gegen 5.00 Uhr am Morgen des 19. Juli 2003 wurde ich von zwei PSB-Beamten, die Verdacht gegen mich geschöpft hatten, festgenommen. Ich war fünf Monate im Gutsa-Haftzentrum inhaftiert. In der ersten Woche wurde ich pausenlos von den Beamten verhört. Sie schlugen mich mit elektrischen Schlagstöcken und peitschten mich mit Kabeln aus. Es war äußerst schmerzhaft. Am 15. Dezember wurde ich aus dem Gefängnis entlassen. Ich blieb noch fünf Monate in Lhasa, bevor ich aus Tibet fliehen konnte. Am 27. April 2004 erreichte ich Kathmandu".

Teil 9

Vorgaben der Behörden führen zu miserablen Lebensbedingungen für Nomaden

Dhondup, ein Nomade aus dem Distrikt Golog, Provinz Qinghai, berichtete dem TCHRD über die Probleme, welchen die Nomaden in seiner Heimat beim Erwerb ihres Lebensunterhalts gegenüberstehen:

"Schon viele Generationen lang lebten die Menschen in Golog als Nomaden und erwarben sich so ihren Lebensunterhalt. Heutzutage sehen sich die Nomaden mit vielen Härten konfrontiert.

Die Chinesen haben den Familien das Weideland nicht nach der Größe ihrer Herden, sondern nach der Anzahl der Familienmitglieder zugewiesen. Die Regierung erlaubt jedem Familienmitglied die Aufzucht von fünf Stück Vieh, aber diese Vorgabe ist bar jeder Grundlage. Eine Familie mit einer großen Herde kann nur aus wenigen Menschen bestehen und umgekehrt. Diejenigen mit großen Herden haben Wasser- und Weidelandprobleme und verlieren jährlich fünf bis sieben Stück Vieh. Vielen Familien geht es auf Grund derartiger Probleme ziemlich schlecht. Des weiteren fordert die chinesische Regierung von jeder Familie mindesten 1.500 Yuan an Steuern, Weide-, Land- und Wasserabgaben inklusive. Das Landwirtschaftsamt hat bereits eine Warnung an alle ausgesprochen, die diese Steuern nicht entrichten. Wenn sie selbst auf diese Warnung hin nicht zahlen, werden die betreffenden Personen vor Gericht gestellt und zu einer Geldstrafe verurteilt, deren Betrag sich jeden Monat verdoppelt. Fast alle Familien stehen dadurch vor schweren existentiellen Problemen und verkaufen ihr Vieh, um ihre Steuern zahlen zu können.

Im vergangenen Jahr haben die Chinesen in Golog eine neue Aufsichtsbehörde eingerichtet, die für das Weideland in den Nomadengebieten zuständig ist. Bisher wurden dort zwei neue Regelungen eingeführt und in allen Distrikten der Region bekanntgegeben. Die erste besagt, daß jedes Familienmitglied nur fünf Stück Vieh besitzen darf, und daß alle diejenigen, die mehr Vieh halten, für jedes Tier 500 Yuan Geldstrafe bezahlen müssen. In der zweiten wird jede Familie dazu verpflichtet, das ihr zugewiesene Land einzuzäunen. Diese neue Richtlinie trifft die ärmeren Familien hart, denn auf Grund der hohen Kosten können sie es sich nicht leisten, ihr ganzes Land einzuzäunen. Für einen Kilometer Zaun sind 7.400 Yuan erforderlich. Golog leidet gegenwärtig unter schwerer Wasser- und Futterknappheit. Wenn eine Familie ihr Vieh auf dem Land einer anderen weiden läßt, muß sie täglich 10 Yuan für jedes Pferd, 5 Yuan für ein Rind und 3 Yuan pro Schaf bezahlen. Wie viele andere Leute begann ich damit, im Sommer Yartsa Gunbhu (Raupenkeulenpilze - cordyceps sinensis) zu sammeln, um so die täglichen Ausgaben für meine Familie bestreiten zu können. Aber man verlangte von uns, daß wir den Gemeinde- und Distriktsbehörden von unserem hart erarbeiteten Einkommen Steuern in Höhe von 1.500 Yuan bezahlten."

Weil Dhondup die ständige Unterdrückung und eine Politik, deren Ziel es ist, die nomadische Lebens- und Wirtschaftsweise auszurotten, nicht mehr ertragen konnte, floh er schließlich ins Exil.

Teil 10

Fünf Jahre Gefängnis für das Abspielen eines Lieds über den Exil-Märtyrer Thupten Ngodup

Tsewang Jigme wurde im Distrikt Kardze, Provinz Sichuan, geboren und ist Mitte dreißig. Im Jahr 2000, inzwischen in Lhasa ansässig, ging er einmal aus und besuchte eine Nangma Bar (diese Bars, in denen traditionelle tibetische Musik gespielt wird, sind in Lhasa sehr beliebt). Mitten in der Vorstellung schritt er auf die Bühne und hielt die Musiker an. Er legte statt dessen eine in Indien von Exiltibetern aufgenommene Kassette ins Abspielgerät und drehte die Lautstärke auf. Die Kassette enthielt unter anderem auch das Stück: "Sieg sei dem Märtyrer Thupten Ngodup", das zu dessen Ehren komponiert worden war. Thupten Ngodup hatte sich selbst verbrannt, als der vom Tibetan Youth Congress organisierte "Hungerstreik bis zum Tode" im April 1998 in Delhi gewaltsam abgebrochen wurde.

Als das Lied ertönte, wurden alle Leute einschließlich der Musiker beklommen, zogen sich auf ihre Stühle zurück und hörten still zu. Von Panik ergriffen, forderte der Besitzer der Bar Tsewang auf, die Musik sofort zu stoppen. Tsewang ließ das Stück trotzdem weiterlaufen. Kaum hatte das örtliche PSB von dem Vorfall erfahren, stürmten die Polizisten die Bar. Als die Leute die vielen PSB-Beamten sahen, bekamen sie Angst und begannen umherzurennen. Trotz des Tumults nahmen die Polizisten Tsewang fest. Sie entfernten die Kassette und schafften ihn zur PSB-Station, um ihn dort zu verhören.

Danach wurde er in das im Ostteil der Stadt gelegene Haftzentrum von Lhasa gebracht. Während der mehrere Monate dauernden Untersuchungshaft wurde er häufig wegen des Liedes verhört, denn man wollte herauszufinden, wer ihn dazu gebracht hatte, die Kassette in der Bar abzuspielen. Mitte 2001 wurde er vom Mittleren Volksgerichtshof Lhasa wegen "Gefährdung der Staatssicherheit", "Aufhetzung der Massen" und "Antiregierungspropaganda" zu fünf Jahren Haft verurteilt. Im Dezember 2001 wurde Tsewang ins Gefängnis Drapchi verlegt.

Auf Grund der brutalen Prügel, die er im Gefängnis erdulden muß, ist Tsewang gebrechlich geworden und hinkt beim Gehen. Er ist in schlechter gesundheitlicher Verfassung. Abgesehen von einigen Medikamenten aus der Krankenstation des Gefängnisses wurde ihm keine angemessene medizinische Behandlung zuteil.

Die Nangma Bars sind seit etwa 1998 in Lhasa recht populär geworden. Die meisten von ihnen gehören Tibetern und es werden dort traditionelle tibetische Lieder gespielt. Da Tibeter ihre traditionelle Musik mögen, sind diese Bars gut besucht. Sie bilden die Grundlage für das Nachtleben der Stadt. Für die chinesischen Behörden hingegen sind die Nangma Bars Horte des tibetischen Nationalismus, wo Lieder mit verschlüsselten politischen Aussagen gespielt werden. Einige Nangma Bars mußten wegen derartiger Verdächtigungen schließen.