Human Rights Update
November 2003

Inhalt

  1. Intensivierung der Kampagne gegen den Dalai Lama in den Distrikten Kardze und Lithang
    Sechs Jahre Haft für Yeshe Gyatso
  2. Chinesischer Gesandter verlangt die Eindämmung des Zustroms von Tibetern nach Nepal
  3. Nepal läßt neun tibetische Gefangene frei
  4. "Anti-Terror"-Übungen der chinesischen Armee in Tibet
  5. Dorfbewohner im Distrikt Meldrogongkar befürchten Überschwemmungen in Lhasa
  6. Aus dem Exil zurückgekehrter Mann wegen Besitzes von Schriften über den Dalai Lama zu vier Jahren Haft verurteilt
  7. Aussage eines ehemaligen politischen Gefangenen
  8. Porträt eines inhaftierten politischen Gefangenen

Teil 1

Intensivierung der Kampagne gegen den Dalai Lama in den Distrikten Kardze und Lithang

Aus zuverlässigen Quellen erhielt das TCHRD die bestätigte Information, daß der Bevölkerung in den Distrikten Kardze und Lithang in der TAP Kardze der Provinz Sichuan mit der Konfiszierung ihres Grund und Bodens gedroht wurde, falls nicht innerhalb eines Monats alle Porträts des Dalai Lama abgegeben werden.

Vertrauenswürdigen Informanten zufolge hielten chinesische "Arbeitsteams" in allen Dörfern und Gemeinden der Distrikte Kardze und Lithang am 11. und 12. November 2003 Versammlungen ab. Am 11. November befahlen die örtlichen Behörden und die Vertreter der "Arbeitsteams" die umgehende Einstellung aller auf die Unabhängigkeit Tibets gerichteten Aktivitäten, sowie jegliche Ehrerbietungsbezeugungen für den Dalai Lama zu unterlassen. Demzufolge wurden die Menschen zur Aushändigung der in ihren Häusern aufbewahrten Bilder des Dalai Lama aufgefordert. Da keine Reaktion erfolgte, versicherten die Behördenvertreter, es würden keinerlei Schritte unternommen gegen Personen, welche die Porträts freiwillig übergäben. Am nächsten Tag wurde aus demselben Grund eine weitere Versammlung einberufen, aber wiederum wurden besagte Porträts nicht ausgehändigt. Daraufhin drohten die Behördenvertreter den Leuten mit der Beschlagnahmung ihres Grundbesitzes, sollten sie nicht innerhalb eines Monats der Anordnung Folge leisten. "Falls am Ende dieser Frist in irgendeinem Haus Bilder des Dalai Lama gefunden werden, verliert die betreffende Familie ihr Land", lautete die Drohung der Behörden.

Die Einberufung dieser Versammlungen durch die Behörden ist vermutlich die Reaktion darauf, daß im Oktober 2003 die tibetische Nationalflagge auf einem riesigen Sendemasten wehte (laut RFA vom 19.11. handelte es um einen 72 m hohen Radio-Sendeturm, an dem anläßlich der Einweihung einer Stupa gegenüber des Klosters Kardze eine tibetische Flagge erschien). Die Behörden versuchten erfolglos den "Übeltäter" zu ermitteln. Diese harten Maßnahmen sollen dazu dienen, derartige Vorkommnisse künftig zu unterbinden. Die Mehrheit der Einwohner der Distrikte Kardze und Lithang sind Bauern und leben seit Generationen von dem, was sie auf ihrem Grund und Boden erwirtschaften. Wegen der Androhung der Konfiszierung fürchten die Menschen nun um ihren Lebensunterhalt.

Hintergrund dieser Entwicklung: Bei dem 1994 abgehaltenen "Dritten Arbeitsforum zu Tibet" nannten die chinesischen Behörden den Dalai Lama "Kopf der Schlange". Daraufhin wurden im Jahr 1996 die ersten Anti-Dalai-Lama-Kampagnen in den Klöstern Tibets durchgeführt. Mönche und Nonnen sind ständigen politischen Indoktrinationen ausgesetzt, in deren Verlauf sie sogar zur Verurteilung des Dalai Lama gezwungen werden. Später wurde die Kampagne auch auf die Laienbevölkerung ausgeweitet. Im Juni 2000 durchsuchten "Arbeitsteams" alle Häuser im Distrikt Toelung Dechen (TAR) nach Bildern des Dalai Lama. Die konfiszierten Porträts wurden auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Seit dem Start der Anti-Dalai-Lama-Kampagne kam es bereits zu etlichen Festnahmen wegen des Aufstellens von Bildern oder des Besitzes von Video- oder Audiocassetten des Dalai Lama, sowie wegen der Wiederholung der Worte "Lang lebe der Dalai Lama".

Seit 2001 hat sich der Schwerpunkt der religiösen Unterdrückung nach Sichuan, das früher relative religiöse Freiheit genoß, verlagert. Drei der prominentesten religiösen Würdenträger - Geshe Sonam Phuntsok (der zur Zeit eine fünfjährige Haftstrafe verbüßt), Tulku Tenzin Delek Rinpoche (mit zwei Jahren Aufschub zum Tode verurteilt) und Khenpo Jigme Phuntsok (der ohne Verbindung zur Außenwelt inhaftiert war und dessen Serthar-Institut Opfer von Massenvertreibung und Zerstörung wurde) – wurden auf Grund ihrer Treue zum Dalai Lama Zielscheibe der Schikanen der chinesischen Behörden. Die in diesem Jahr bei den Verhaftungen festzustellende Tendenz läßt auf eine weitere Intensivierung des Anti-Dalai-Lama-Kurses schließen.

Teil 2

Sechs Jahre Haft für Yeshe Gyatso

Aus TIN zugegangenen Berichten geht hervor, daß gegen Khyamtoe Yeshe Gyatso, ein angesehenes Mitglied der Lhasa Municipality People's Political Consultatiave Conference (auf Präfekturebene), eine sechsjährige Haftstrafe verhängt wurde. Der über siebzigjährige Yeshe Gyatso wurde offenbar im Juni 2003 wegen angeblicher "separatistischer Aktivitäten" verhaftet. Damit wäre er einer der ältesten zur Zeit inhaftierten politischen Gefangenen. Der Gefangenen-Datenbank von TIN zufolge ist der älteste Gewissensgefangene, von dem man in den letzten sechzehn Jahren politischen Widerstands erfuhr, der heute ungefähr 83 Jahre alte Serpa Sichoe, ein Hirte aus Sog Shen, Präfektur Nagchu. Er wurde im Jahr 2000 verhaftet und bis heute ist nichts über sein Strafmaß bekannt.

Yeshe Gyatso, der in der traditionellen tibetischen Regierung Ministerstatus inne hatte, war bereits am Aufstand von 1959 beteiligt und saß zehn Jahre im Gefängnis. Weitere Jahre verbrachte er in der sogenannten "las mi rukhag", einer Arbeitseinheit, in der Ex-Häftlinge, die nach ihrer formellen Entlassung nicht voll rehabilitiert waren, unter ständiger Beobachtung gehalten wurden. Er gehörte zu denjenigen Angehörigen der Aristokratie, die während der 80er Jahre rehabilitiert wurden. Damals boten die Chinesen, die einen weiteren Versuch starteten, ihre Kontrolle über Tibet zu legitimieren, vielen früheren Aristokraten nominelle Posten und gewisse Privilegien an. In diesem Zusammenhang wurde Yeshe Gyatso Mitte der Achtziger Mitglied der Chinese People's Political Consultative Conference (CPPCC) des Bezirks Lhasa. Wie die Mehrzahl der Aristokraten besaß er niemals eine echte Entscheidungsvollmacht innerhalb der staatlichen Institutionen.

Unbestätigten Berichten zufolge erfolgte die Verhaftung von Yeshe Gyatso im Juni 2003, als die Behörden im Vorfeld zum Geburtstag des Dalai Lama besonders hart durchgriffen.

Teil 3

3. Chinesischer Gesandter verlangt die Eindämmung des Zustroms von Tibetern nach Nepal

Kathmandu, 14. November 2003, Quelle: AFP: Vergangenen Freitag ließ der chinesische Botschafter in Nepal verlauten, China sei dabei, den unerwünschten Zustrom von Tibetern nach Nepal zu stoppen, durch das die am meisten frequentierte Transitroute für Tibeter auf dem Weg zum Sitz ihres spirituellen Oberhauptes, des Dalai Lama, verläuft.

Botschafter Sun Heping lehnte es ab den Begriff "Flüchtling" zu verwenden, statt dessen bezeichnete er die Tibeter, die ohne gültige Papiere in Nepal einreisen, als "illegale Einwanderer". "Es existiert kein tibetisches Flüchtlingsproblem zwischen uns (China und Nepal); diejenigen, welche die Probleme verursachen, sind die illegal nach Nepal gekommenen Einwanderer", sagte Sun zu Reportern. "Wir ergreifen gerade die zur Unterbindung derartiger illegaler Immigration notwendigen Maßnahmen", fuhr er fort.

Nepal ignorierte im Mai alle internationalen Appelle und schob 18 tibetische Flüchtlinge nach China ab. Sowohl die Vereinigten Staaten als auch die EU und der Flüchtlings-Hochkommissar der Vereinten Nationen verurteilten diese Vorgehensweise. Sun sagte, China favorisiere legale Reisen zur Ankurbelung des Handels und sprach über den für nächste Woche geplanten Nepalbesuch einer Delegation, die über die Öffnung mehrerer Übergänge an der 1.400 km (875 Meilen) langen Grenze im Himalaya beraten wird. Zwischen 30.000 und 35.000 Tibeter haben sich in Nepal niedergelassen, aber um nicht den Unmut der Chinesen zu erregen, hat die Regierung bisher noch nie einen Besuch des Dalai Lama gestattet.

Teil 4

Nepal läßt neun tibetische Gefangene frei

Die Behörden in Nepal ließen am 19. November endlich die neu inhaftierten Tibeter frei. Diese zu unterschiedlichen Daten im vergangenen Jahr festgenommenen Personen schmachteten in Ermangelung der notwendigen Reisepapiere für ihre Durchreise durch Nepal im Gefängnis.

Es handelt sich um fünf Mönche und vier Studenten, die alle Haftzeiten von 10 Jahren zu verbüßen hatten. Der Mönch Gendun Samten, alias Heruka, hatte bereits vier Jahre und fünf Monate im Bhadra Zentralgefängnis gesessen, als er endlich freikam, die übrigen befanden seit August 2001 in Haft.

Die Häftlinge wurden auf freien Fuß gesetzt, nachdem die in San Francisco ansässige Himalaya Foundation das Lösegeld für sie bezahlt hatte. Zuvor wurden mehrere Versuche unternommen, die Gefangenen auf juristischem Wege freizubekommen, doch ohne Erfolg. Einige Monate zuvor wurden sieben Tibeter frei gelassen, deren Lösegeld von großherzigen Gönnern bezahlt wurde. Im Mai dieses Jahres schob Nepal trotz massivem internationalem Protest 18 tibetische Flüchtlinge ab.

Teil 5

"Anti-Terror"-Übungen der chinesischen Armee in Tibet

Die Website www.chinatibetnews.com zitierend, teilte Reuters am 17. November mit, chinesische Truppen seien in Tibet einen Tag lang im Anti-Terror-Kampf gegen "Terroristen", die mit dem im Exil lebenden spirituellen Oberhaupt, dem Dalai Lama, assoziiert seien, geschult worden. Bei dem "Himalaya 03" genannten Manöver wurden die Niederschlagung von Aufständen, die Gefangennahme von Entführern, die Geiselbefreiung und die Abwehr von Bombenattentaten und biochemischen Angriffen eingeübt. Führende Mitglieder der kommunistischen Partei und Regierungsvertreter der TAR sowie der stellvertretende Leiter des dem Ministerium für öffentliche Sicherheit unterstehenden Anti-Terrorismus-Büros wohnten dem Manöver als Beobachter bei.

Ein Vertreter des Amtes für auswärtige Angelegenheiten der TAR sagte, Zweck der Übungen sei es, "die feste Entschlossenheit des Parteikomitees der TAR sowie der Regierung und der Menschen aller ethnischen Gruppen zur Bekämpfung des Terrorismus, wie auch ihre Leistungsfähigkeit dabei deutlich zu machen".

Im Gefolge des 11. September versucht die chinesische Regierung mit aller Macht, politische und religiöse Aktivitäten als "Terrorismus" zu brandmarken. Die im Dezember 2001 zum chinesischen Strafgesetzbuch verabschiedeten Ergänzungen bedrohen Gründung und Führung einer Terror-Organisation mit schweren Strafen von drei bis zu zehn Jahren oder von zehn Jahren bis lebenslänglich (Artikel 120 des Strafgesetzbuches). Die Definition des Begriffs "terroristische Organisation" ist überaus vage und erlaubt weitgefaßte und mehrdeutige Interpretationen, womit auch friedliche politische und religiöse Aktivitäten einbezogen werden können.

Indem sie populäre Führungspersönlichkeiten als "Terroristen" abstempeln, ziehen die Chinesen die Schraube der Repression immer enger an. Als Bedrohung für die Autorität der Partei in Tibet wahrgenommen, werden sie als Terroristen abqualifiziert und kaltgestellt. Der angesehene buddhistische Lehrer Tulku Tenzin Delek aus dem Distrikt Lithang, TAP Kardze, Provinz Sichuan, wurde wegen angeblicher Beteiligung an Sprengstoff-Anschlägen und versuchter Spaltung des Landes mit zweijährigem Vollstreckungsaufschub zum Tode verurteilt. Sein Mitangeklagter Lobsang Dhondup wurde auf Grund derselben Anklagen trotz massiver internationaler Appelle am 26. Januar 2003 hingerichtet.

Teil 6

Dorfbewohner im Distrikt Meldrogongkar befürchten Überschwemmungen in Lhasa

Der 22-jährige Mönch Gyakloe aus dem Distrikt Meldrogongkar in der TAR berichtete dem TCHRD vom Bau eines Kraftwerks in seinem Dorf:

"2002 begann die chinesische Regierung mit der Errichtung eines Kraftwerks in unserem Dorf. Gleichzeitig damit wurde ein Damm geplant, der den durch unser Dorf fließenden Fluß aufstauen soll. Vor einigen Jahren kam eine Gruppe von Experten zu uns, um eine Umweltverträglichkeitsstudie zu erstellen. Sie machten in ihrem Bericht deutlich, daß der Bau des Staudamms mit erheblichen ökologischen Risiken verbunden sei. Insbesondere machten sie große Bedenken hinsichtlich der zunehmenden Überschwemmungsgefahr für die Region geltend.

Unter völliger Mißachtung des Berichts hält die Regierung an ihren Plänen zum Bau des Kraftwerks und des Staudamms fest. In seinem weiteren Verlauf mündet unser Fluß in den durch Lhasa fließenden Kyichu-Fluß. Es bestehen daher Befürchtungen, daß eventuelle technische Probleme beim Dammbau Überschwemmungen in Lhasa verursachen könnten.

Mittlerweile hat die Regierung bereits die Umsiedlung der Einwohner der Ortschaften Chang Ra, Tin Ghang, Rong Do, Cha Ga Dong, Gyang Gang, Dzong Shuel, Ngoru und Pang Da, die alle von dem Dammbau betroffen sind, verfügt. Der Umzug soll innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen sein. Der Planung zufolge soll ein Teil der Menschen im höher gelegenen Gebiet um die Ortschaft Nyima Chang Ra angesiedelt werden, die übrigen will man nach Bae Pa Chu Lae Pa Thang in der Präfektur Kongpo umsiedeln.

Die Leute machen sich große Sorgen um ihre Zukunft. Das gesamte Projekt fällt unter die Zuständigkeit der Volksbefreiungsarmee (PLA). Der Bau des Kraftwerks soll im Jahr 2008 abgeschlossen sein. Seit Projektbeginn wurden bereits drei neue Brücken über den Fluß gebaut. Eine von ihnen ist für den öffentlichen Verkehr bestimmt, die beiden anderen dienen jedoch nur dem Dammbau. Es wird befürchtet, daß eine der Brücken sogar als Transportroute für den Aushub eines nahe bei einer Stadt gelegenen Bergwerks genutzt werden soll. Daher machen sich die Einwohner der Stadt große Sorgen, ihr Land könne durch dieses Projekt seiner großen natürlichen Reichtümer beraubt und die fragile Umwelt geschädigt werden. Die Auswirkungen derartiger Projekte sind der Bevölkerung wohlbekannt.

Viele Leute sagten mir, einzig und alleine die chinesische Regierung würde von diesem Projekt profitieren, während sich die ortsansässige Bevölkerung mit katastrophalen Folgen für die Umwelt konfrontiert sähe. Dies ist bereits an der Umwandlung einer großen landwirtschaftlichen Fläche in eine zu logistischen Zwecken erbaute Betonstraße ersichtlich. Wie ich hörte, wurden die Bauern entweder zur Herausgabe ihres Landes gezwungen oder mit finanziellen Zuwendungen dazu verleitet. All dies hat das Leben der in dieser Gegend beheimateten Menschen zerstört. Sie haben große Angst vor der Zukunft."

Teil 7

Aus dem Exil zurückgekehrter Mann zu vier Jahren Haft verurteilt

Nach bestätigten Informationen des TCHRD wurde Yeshe Dorjee zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Yeshe kehrte nach sechs Monaten Studium im Kloster Namdroling in Südindien nach Tibet zurück. Er überschritt die Grenze bei Dram (Freundschaftsbrücke). Während er sich noch in Nepal befand, wurde er von einem Freund davor gewarnt, Schriften mitzunehmen, die sich auf den Dalai Lama bezögen. Yeshe mißachtete jedoch den Rat und nahm bei seiner Rückkehr nach Tibet Kopien von Ansprachen des Dalai Lama mit.

Kurz darauf wurde Yeshe im Distrikt Dingri (chin: Tingri) festgenommen und von den PSB-Milizionären so übel zusammengeschlagen, daß er einen Armbruch erlitt. Er wurde wegen "spalterischer Aktivitäten" angeklagt und in der Folge zu vier Jahren Haft verurteilt. Bisher ist nichts über seinen Haftort bekannt geworden.

Teil 8

Aussage eines ehemaligen politischen Gefangenen

Bukhog (27) wurde in der Ortschaft Tsashol, Distrikt Meldogongkar, TAR, geboren. Er besuchte die Dorfschule bis zur vierten Klasse, ging anschließend aber von der Schule ab, weil seine Familie in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Im Jahr 1995 wurden Bukhog und sein Freund Jigme Gyalpo wegen "politischer Aktivitäten für die Unabhängigkeit" verhaftet. Das Mittlere Volksgericht von Lhasa verurteilte beide zu je sechs Jahren Haft. Nach Verbüßung seiner Strafe wurde Bukhog am 19. April 2001 entlassen. Er floh aus Tibet, weil es ihm nach der Haftentlassung nicht mehr möglich war, ein normales Leben zu führen, und er erreichte im November 2003 Kathmandu. Er berichtete dem TCHRD:

"Ende 1994 dachten mein Freund Jigme Gyalpo (geb. 1972) und ich uns einen Plan aus, um gegen Chinas andauernde Kampagnen zur Unterdrückung jeglicher Unterstützung für den Dalai Lama zu protestieren. Jigme und ich bereiteten Plakate mit der Aufschrift "Free Tibet" und "Tibet gehört den Tibetern" vor. Jigme malte auch die tibetische Flagge auf einen Bogen Papier. Im Schutz der Dunkelheit befestigten wir die Plakate nachts an den Toren des Hauptverwaltungsgebäudes unseres Wohnortes. Außerdem schlugen wir eine Tür ein, zogen die chinesische Flagge herunter und zerrissen sie.

Einige Tage danach ging ich auf Verwandtenbesuch nach Kongpo (chin: Nyingtri). Indessen hatten die Behörden zu Hause bereits mit Nachforschungen in der Angelegenheit begonnen. Am 25. Mai 1995 kamen vier PSB-Vertreter aus meinem Heimatort und zwei weitere aus der Präfektur Nyingtri zum Haus meiner Verwandten und verhafteten mich. Sie brachten mich zurück in meinen Heimatort und sperrten mich im PSB-Haftzentrum des Distrikts ein. Noch am selben Abend verhörten mich die Beamten, wobei sie mich unaufhörlich schlugen und folterten. Sie schlugen mit Gewehrkolben, elektrischen Viehstöcken und Drahtseilen auf mich ein. Meine Finger wurden mit zwei Drähten zusammengebunden, die mit einem kleinen, manuell betriebenen Generator verbunden waren. Jedes Mal, wenn die Sicherheitsleute die Griffe bedienten, verspürte ich den unerträglichen Schmerz der Elektroschocks. Sie peitschten mich zudem mit ihren Ledergürteln aus und traten mit ihren schweren Stiefeln nach mir. Den Rest der Nacht ließen sie mich bewußtlos liegen.

Nachdem wir ungefähr eineinhalb Monate im Haftzentrum von Meldogongkar verbracht hatten, wurden wir beide in die Gutsa Haftanstalt in Lhasa verlegt. Zuerst verhörten uns Polizeibeamte; später nahmen dann Beamte der Staatsanwaltschaft Lhasa die Vernehmungen vor. Anschließend wurde unser Fall dem Mittleren Volksgericht von Lhasa überstellt, woraufhin einige Monate lang weitere Untersuchungen angestellt wurden. Im November 1995 wurde ich zu sechs Jahren Haft und Aberkennung aller politischen Rechte für drei Jahre verurteilt. Jigme wurde ebenfalls zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Nach der Urteilsverkündung wurden wir am 4. Januar 1996 ins Drapchi Gefängnis verlegt.

Meiner Schätzung nach gab es während meiner Haftzeit in Drapchi in den alten Abteilungen sowie in der neu erbauten Einheit No. 5 über 300 tibetische politische Gefangene mit unterschiedlich langen Strafen. Die Häftlinge mußten zwar nicht arbeiten, doch war es ihnen auch nicht gestattet, ihre Zellen zu verlassen. Nachdem es am 1. und 4. Mai 1998 zu den bekannten Protesten gekommen war, wurden die Haftbedingungen für die politischen Gefangenen weiter verschärft. Wir durften die Zellen nur zweimal am Tag verlassen, um die Toiletten aufzusuchen. Außerdem mußten wir uns regelmäßig mit der Gefängnisordnung beschäftigen.

Das Gefängnispersonal führte Routinebefragungen durch. Mit diesen Verhören wollten sie herausfinden, ob wir unsere politische Meinung geändert hätten. Bei unbefriedigenden Antworten der Häftlinge waren körperliche Mißhandlungen die Regel. Was die Besuche durch Verwandte betraf, so gab es strenge Regeln. Besuche waren nur einmal im Monat erlaubt. Die Gefangenen durften maximal drei gyamas (ein gyama entspricht 500 g) Früchte von ihren Verwandten bekommen.

Immer mal wieder wurden die Häftlinge von den Disziplinarbeauftragten des Gefängnisses beurteilt und bekamen je nach ihrer Einstufung farbige Zettel ausgehändigt. Die mit den besten Beurteilungen hatten grüne Zettel, während diejenigen mit den schlechten rote bekamen.

Was die medizinische Versorgung angeht, so gibt es praktisch keine Einrichtungen zur Behandlung von kranken Häftlingen. Daher mußten ernsthaft erkrankte Gefangene häufig in größere Krankenhäuser verlegt werden. Diese Situation hat sich seither nicht geändert. Eigentlich hat sich die Lage in diesem Gefängnis im Laufe der Jahre eher immer mehr verschlechtert.

Mein Freund und ich wurden nach Verbüßung unserer Strafe am 19. April 2001 ordnungsgemäß entlassen. Ich ging in mein Dorf zurück, wo ich mein gewohntes Leben wieder aufnehmen wollte. Doch außerhalb des Gefängnisses unterlag mein Leben eher einer noch strengeren Kontrolle als in der Haft. Das PSB überwachte mich permanent. Jedes Mal, wenn ich die Ortschaft verlassen wollte, mußte ich zuvor eine Erlaubnis von der Distriktsverwaltung einholen. Selbst zu Hause wurde ich häufig von den PSB-Leuten kontrolliert. Ich war sozusagen unter den wachsamen Augen der chinesischen Sicherheitsbeamten an eine unsichtbare Kette gelegt. Dieses Leben wurde allmählich so bedrückend und unerträglich für mich, daß ich mich zur Flucht entschloß."

In einem kürzlich in der Zeitschrift "China's Tibet" veröffentlichten Bericht über das Drapchi-Gefängnis war nichts über die strenge Kontrolle während der Verwandtenbesuche zu lesen. Statt dessen behauptete die Zeitschrift fälschlicherweise, daß die Verwandten bei ihren Besuchen viele verschiedene Artikel mitbringen dürften. Angeblich dürften die Gefangenen fünf bis zehn Packungen getrocknete Nudeln, fünf Dosen Fleisch, fünf gyamas Tsampa (geröstete Gerste), ein gyama raffinierten Zucker, drei gyamas Butter, fünf Pakete Milchpulver und fünfzig yuan bekommen.

Teil 9

Porträt eines inhaftierten politischen Gefangenen

Der wegen Weitergabe von Informationen an die Außenwelt zu fünf Jahren Haft verurteilte Lobsang Tenphen wurde 1965 in der Ortschaft Zhampa im Distrikt Lithang, Provinz Sichuan, geboren. Schon in früher Kindheit mußte er seiner Familie in der Landwirtschaft helfen, weshalb er keine schulische Erziehung erhielt. Mit 19 Jahren machte er sich selbständig und handelte mit der tibetischen Heilpflanze Yartsa Gumbu (botanischer Name: Cordyceps Sinensis) und mit Tierhäuten. Mit 25 heiratete er Tulku Tenzin Deleks Nichte Sonam Dolma und zog zu ihrer achtköpfigen Familie.

Im Jahr 1995 wurde Tenphens Bruder Dhak Lobsang im PSB-Haftzentrum eingesperrt, weil man ihn verdächtigte, Flugblätter verteilt und Unabhängigkeits-Slogans angebracht zu haben. In einem hitzigen Streitgespräch verteidigte Tenphen gegenüber den Beamten des PSB die Unschuld seines Bruders. Wutentbrannt spuckte er vor dem Tor des Haftzentrums auf den Boden. Die Behörden warnten seine Familie anschließend, sie möge besser auf ihn aufpassen, sonst werde sich das PSB "seiner annehmen".

Am 7. April 2002 wurde Tulku Tenzin Delek unter der Beschuldigung, "Sprengstoffexplosionen angezettelt zu haben", festgenommen. Dies führte zu einer ganzen Serie weiterer Verhaftungen. Unbestätigten Informationen zufolge wurden achtzig Tibeter in Haft genommen; das TCHRD dokumentierte 13 bestätigte Verhaftungen. Lobsang Tenphel war unter den letzten, die im Zusammenhang mit dem Fall von Tulku Tenzin Delek festgenommen wurden. Am 12. Februar 2003 kamen sechs PSB-Beamte zu Tenphens Haus und verhafteten ihn unter dem Verdacht der Weitergabe von Informationen über Tulku Tenzin Delek und Lobsang Dhondup. Tenphens Frau und ihr Vater protestierten heftig gegen seine Festnahme und fragten nach den Gründen. Die Beamten versicherten der Familie, sie hätten "nur einige Fragen an ihn zu richten, es würde ihm nichts geschehen und er würde bald zurückkehren". Aber Tenphen kam auch nach Monaten nicht nach Hause zurück. Die Familie kannte nicht einmal seinen Aufenthaltsort und machte sich große Sorgen um sein Wohlergehen. Sie wandte sich an die Sicherheitsbehörde des Distrikts Lithang (chin: An-tsan-tsue), die Nationale Sicherheitsbehörde der Provinz Kardze und mehrere weitere maßgebliche Stellen, um etwas über Tenphels Aufenthaltsort und seinen Gesundheitszustand zu erfahren, bekam jedoch keine Auskunft.

Nach sieben Monaten, im September 2003, wurde Lobsang Tenphel zum ersten Mal wieder gesehen - als man ihn nämlich beim Mittleren Volksgerichtshof von Kardze vor Gericht stellte. Erst jetzt erfuhr man von seiner willkürlichen Inhaftierung im Yakra Phuk-Gefängnis (tib: gyg ra phuk). Hierbei handelt es sich um eine klare Verletzung sowohl des internationalen als auch des chinesischen Rechts. Beide Rechtssysteme formulieren explizit, daß kein Gefangener willkürlich festgehalten werden darf, und daß die Angehörigen über die Anklagen gegen ihn und seinen Aufenthaltsort in Kenntnis gesetzt werden müssen. Bei Lobsangs Verhaftung erhielt die Familie jedoch keine derartigen Informationen. Der erste Absatz des Artikels 9 im Internationalen Abkommen über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR) besagt: "Niemand darf willkürlich verhaftet und festgehalten werden...".

In einem Eilverfahren wurde Lobsang Tenphen vom Mittleren Volksgericht Kardze wegen Weitergabe von Informationen über Tulku Tenzin Delek und Lobsang Dhondup zu fünf Jahren Haft verurteilt und ins Gefängnis Ngaba (chin: Aba) in der Provinz Sichuan verlegt.

Einige Wochen nach seiner Verurteilung besuchten ihn fünf Verwandte einschließlich seiner Frau in Ngaba. Die Besuchszeit betrug eine halbe Stunde. Lobsang ist schmal und schwach geworden. An seinen Armen waren Blutergüsse und andere Verletzungen zu erkennen. Es wird befürchtet, daß er im Gefängnis gefoltert wurde.