Human Rights Update

Juli 2003

Inhalt
  1. Distrikt Kardze nach Gebetszeremonien im Würgegriff der Sicherheitskräfte
  2. China entläßt zwei im Zusammenhang mit dem Fall Tulku Tenzin Delek inhaftierte Tibeter: Freilassung eines zu siebenjähriger Haft verurteilten Mönches
  3. Freilassung eines zu fünfjähriger Haft verurteilten Dorfvorstehers
  4. Auf der Suche nach Tibet: Eine Reise durch ein Land im Wandel
  5. 15 Jahre Haft für das Zerbrechen von Schildern und Anbringen von politischen Plakaten
Teil 1

Distrikt Kardze nach Gebetszeremonien im Würgegriff der Sicherheitskräfte

Zu Beginn des Winters 2002 hielten die Tibeter im Distrikt Kardze eine Reihe von Gebetszeremonien für ein langes Leben des Dalai Lama ab. Bis zur Vollendung der Zeremonien, die von 64 Dörfern und zwei Nonnenklöstern organisiert wurden, dauerte es fast ein halbes Jahr. Die Behörden sahen diese Gebetszeremonien als politisch motiviert an, sie stellten Nachforschungen an und begannen die Beteiligten festzunehmen. Die Hauptorganisatoren - Dorjee Phuntsok (52), Jampa Sangpo (40), Namgyal Choephel (35), Tsering Dorjee (42), Tsering Nyjima (26) - wurden festgenommen und im April 2003 zu drei Jahren Haft verurteilt. Unbestätigten Berichten zufolge befinden sich im Zusammenhang mit den Gebetszeremonien etwa 20 Tibeter im Gefängnis. Viele weitere sind untergetaucht oder haben sich aus Furcht vor Verhaftung aus der Gegend abgesetzt.

Im Mai 2003 entkam Pema Tsewang, ein Mönch aus dem Kloster Kardze, nach Indien und konnte so der Festnahme entgehen. Pema berichtete dem TCHRD: "Als ich 1990 im Kloster Sera in Südindien studierte, erhielt ich plötzlich die Nachricht vom unerwarteten Tod meines Vaters in Tibet. Ich fuhr sofort nach Tibet. Im Distrikt Shigatse wurde ich von Vertretern des Büros für öffentliche Sicherheit (PSB) verhaftet und eineinhalb Monate im Nyari-Gefängnis festgehalten. Einmal sang ich dort Lobeshymnen auf den Dalai Lama. Als die Wachen das hörten, versuchten sie herauszufinden, wer diese "reaktionären" Lieder singe. Sie betraten meine Zelle und fragten, ob ich das Lied gesungen habe, was ich leugnete. Wutentbrannt stürzten sie sich auf mich und verprügelten mich ungefähr zwei Stunden lang, aber ich gab nie zu, daß ich es gewesen war.

Nach meiner Entlassung begab ich mich nach Kardze, wo ich für meinen verstorbenen Vater betete und all die bei Todesfällen üblichen religiösen Riten organisierte. Dann kehrte ich ins Kloster Kardze zurück und setzte meine religiösen Studien fort. Zwei Jahre später wurde ich zum Lehrer für buddhistische Dialektik ernannt, eine Tätigkeit, die ich während der folgenden sechs Jahre ausübte. Ich lehrte die Studenten tibetische Geschichte und klärte sie über den Status Tibets unter chinesischer Besatzung und darüber auf, daß ihnen eines der wesentlichsten Rechte, nämlich das auf Religionsfreiheit vorenthalten werde. Ich ermahnte die Studenten auch, an den vom Dalai Lama gelehrten Grundsätzen festzuhalten und für das Wiederaufleben des Buddhismus und der tibetischen Kultur zu arbeiten.

Im Juni 2001 führte ich während einer Versammlung von einigen hundert Mönchen einen Dokumentarfilm über den Dalai Lama vor. Von da an war ich den Behörden verdächtig. Anfang 2002 wurde ich zum Organisator einer religiösen Fastenzeremonie (tib: smyug gnes) ernannt. Aus 13 Dörfern kamen die Leute zu einem Nonnenkloster, um zu fasten. Bei der Belehrung kam ich auch auf die anhaltende kulturelle Zerstörung Tibets unter der chinesischen Herrschaft zu sprechen und forderte die Leute auf, sich gegen die Unterdrückung zu wehren.

Ab Ende 2001 organisierten die Leute in Kardze eine Reihe von Langlebens-Gebetszeremonien, zuerst im Nonnenkloster Gaden Choeling im Dorf Shershul. Die größte Versammlung fand im Dorf Lugu statt, wo sich ungefähr 4.000 Menschen zu den Gebeten einfanden. Als die Gebetszeremonien in unserem Dorf durchgeführt wurden, hörten die Leute inmitten der Kalachakra-Belehrungen die traurige Nachricht vom schlechten Gesundheitszustand des Dalai Lama. Daraufhin holte ich zusammen mit meinem Freund Namtso ein Portrait des Dalai Lama, das auf einen Thron gestellt wurde, um die Gegenwart Seiner Heiligkeit während der Zeremonie zu symbolisieren. Nach den Gebeten sprach ich zu den Menschen über die Unterdrückung der religiösen Rechte, die Zerstörung von Klöstern und den Tod von mehr als einer Million Tibeter als Folge der chinesischen Besetzung Tibets im Jahr 1959.

Kaum hatten die Beamten des PSB Kardze von den Langlebens-Zeremonien für den Dalai Lama erfahren, stellten sie Nachforschungen an. Im Oktober 2002 wurden die Organisatoren - Dorjee Phuntsol, Jampa Sangpo und Namgyal Choephel in Haft genommen. Später wurden auch Tsering Dorjee aus dem Dorf Chulen und Tsering Nyima aus dem Dorf Sertok sowie fünf weitere Personen insgeheim verhaftet. Alle wurden zu drei Jahren Haft verurteilt. Auch Dhargay (29) aus der Tanzgruppe wurde inhaftiert. Er wurde von den Aufsehern so schwer geschlagen, daß er beinahe in der Haft gestorben wäre. Als er wieder bei seiner Familie eintraf, konnte er kaum noch gehen. Die Behörden verurteilten die Familie obendrein zu 3.000 Yuan Geldstrafe."

Die Einwohner von Kardze leben nach dieser Verhaftungswelle und dem harten Durchgreifen der Sicherheitsbehörden in ständiger Angst, unvermittelt festgenommen zu werden. Die Ermittlungen halten an.

Teil 2

China entläßt zwei im Zusammenhang mit dem Fall Tulku Tenzin Delek inhaftierte Tibeter

Freilassung eines zu siebenjähriger Haft verurteilten Mönches

Dem Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) liegen bestätigte Informationen über die Freilassung von Luzi Tashi Phuntsok vor, der im Gefängnis Yakra Phuk (tib: gyag ra phuk) eine siebenjährige Haftstrafe verbüßte; er wurde am 28.07.03 aus der Haft entlassen. Wie verlautet, ist er am 30.07.03 im Kloster Jamyang Choekhorling im Distrikt Nyakchuka eingetroffen.

Tashi war am 17.04.02 in seinem Kloster willkürlich verhaftet und anschließend einen Tag lang im PSB-Gefängnis des Distrikts Nyakchuka festgehalten worden. Danach wurde er ins Yakra Puk-Gefängnis verlegt. Ende November 2002 verurteilte ihn der Volksgerichtshof von Kardze wegen angeblicher Zusammenarbeit mit Tulku Tenzin Delek, einem angesehenen buddhistischen Lehrer im östlichen Tibet, der wegen angeblicher "Verursachung von Bombenexplosionen" zum Tode mit zweijährigem Aufschub verurteilt wurde, zu sieben Jahren Haft.

Tashi war zum Zeitpunkt seiner Verhaftung an Tuberkulose erkrankt. Wie verlautet, hat sich sein Gesundheitszustand auf Grund von schlechter Behandlung und ungenügender medizinischer Betreuung während der Haft weiter verschlechtert. Die dem TCHRD vorliegenden aktuellen Informationen besagen, daß Luzi Tashi Phuntsok mittlerweile unter beängstigenden gesundheitlichen Komplikationen leidet.

Luzi Tashi Phuntsok (42) wurde im Dorf Orthok, Distrikt Nyakchuka, Provinz Sichuan, geboren. Als Zuchtmeister seines Klosters übernahm er viele Pflichten einschließlich der Organisation von Gebetszeremonien und religiösen Festen. Im Jahr 1993 protestierte er vehement gegen die chinesischen Abholzungsaktivitäten in seiner Region. Bereits vor der Bombenexplosion in Chengdu stand Tulku Tenzin Delek wegen seines sozialen Engagements ständig im Brennpunkt der Aufmerksamkeit der örtlichen chinesischen Behörden. Die Tibeter in dieser Gegend veranstalteten immer wieder Proteste, wobei Tashi einer der Hauptakteure war.

Teil 3

Freilassung eines zu fünfjähriger Haft verurteilten Dorfvorstehers

Wie Human Rights Watch berichtet, wurde Tsering Dondhup (74) am 11.07.03 freigelassen. Tsering wurde im Juni 2002 festgenommen und wegen Kollaboration mit Tulku Tenzin Delek zu fünf Jahren Haft verurteilt. Aktuellen, dem TCHRD vorliegenden Berichten zufolge befindet sich Tsering in kritischem Gesundheitszustand. Er kann nicht gehen und ist während seiner Inhaftierung im Gefängnis Nyakchuka bzw. später im Ragna-kha-Gefängnis auf einem Auge erblindet.

Ende letzten Jahres wurden Tulku Tenzin Delek Rinpoche und Lobsang Dhondup wegen angeblicher Verwicklung in eine Reihe von insgesamt fünf Explosionen in der Provinz Sichuan vor Gericht gestellt. Tenzin Delek wurde im Dezember 2002 mit zweijährigem Aufschub zum Tode verurteilt. Lobsang Dhondup jedoch wurde am 26.01.03 hingerichtet. Weder haben die Behörden bisher Tenzin Deleks angebliche Rolle bei den Vorfällen klargestellt, noch haben sie Beweise für die Schuld auch nur einer der beiden Männer vorgelegt. Tsering wurde wegen seiner Proteste gegen die Anklage des großen sozialen Wohltäters festgenommen. Als Dorfvorsteher von Orthok wurde er der Aufhetzung der Massen gegen Regierung und Partei beschuldigt.

Die Verhaftungen von Luzi Tashi Phuntsok und Tsering Dhondup waren Teil einer gegen Tibeter, die mit Tulku Tenzin Delek in Verbindung standen, gerichteten "Aufräumaktion". Abgesehen vom Tulku und Lobsang Tenphel (dessen Name früher fälschlicherweise als "Taphel" genannt worden war), wurden inzwischen alle anderen Festgenommenen nach Verbüßung unterschiedlich langer Haftstrafen freigelassen. Der Aufenthaltsort von Lobsang Tenphel ist unbekannt. Die Chinesen schweigen hinsichtlich dieses Falles und haben bisher keinerlei Informationen gegeben.

Das TCHRD ruft die chinesischen Behörden dazu auf, beide Gefangene umgehend freizulassen, da sie auf Grund von falschen Anschuldigungen und ohne ein faires Gerichtsverfahren festgehalten werden.

Teil 4

Auf der Suche nach Tibet: Eine Reise durch ein Land im Wandel

Milde Erheiterung befiel eine Reisende, die in einem Hotelzimmer in Yangshuo eine Fernsehsendung sah, in der Ausländer einer chinesischen Kameracrew erzählten, daß sie keinerlei Anzeichen von religiöser Unterdrückung, von nuklearem Abfall usw. auf dem tibetischen Plateau wahrgenommen hätten. Die Touristengruppe in der Sendung war mit einer offiziellen chinesischen Kameracrew gereist. Dank dieser Reisenden ist das TCHRD in der Lage, darzustellen, wie das Leben für die Tibeter aussieht, wenn keine Kameracrew in der Nähe ist. Es folgen hier die Beobachtungen und Erfahrungen, die sie während des vergangenen Jahres in Tibet machte. Im Gegensatz zu den meisten Ausländern reiste sie zusammen mit tibetischen Freunden durch Tibet und konnte dadurch einen wesentlich tieferen Einblick in die Probleme, Veränderungen und Verhältnisse in Tibet gewinnen.

Zwischen der tibetischen und der chinesischen Sprache tobt weiterhin sehr zum Nachteil der ersteren ein heftiger Verdrängungskampf. Der Touristin fiel auf, daß in einem nahegelegenen Institut zur Vorbereitung auf den Besuch der Universität Englisch durch das Medium der chinesischen Sprache unterrichtet wird, wodurch der Lernprozeß für diejenigen Tibeter, die in Chinesisch nicht perfekt sind, enorm erschwert wird. Die Transkription des Tibetischen in das englische Pinyin-Alphabet überfordert nicht wenige Studenten, von denen die meisten aus dem Gebiet der TAR stammen. Ein Freund klagte ihr, daß der Anmeldevorgang für die Tibet-Universität in Lhasa extrem unfair sei, da chinesische Studenten nicht nur im Hinblick auf die Sprache im Vorteil seien, sondern auch bei schwachen Leistungen angenommen werden, falls sie sich verpflichten, nach Abschluß ihres Studiums in Tibet zu arbeiten. Alle Examina an der Tibet-Universität, lediglich mit der Ausnahme des Studiengangs "Tibetische Sprache", werden auf Chinesisch abgenommen, was für Tibeter zu der Doppel-Belastung führt, sowohl den Stoff selbst als auch eine zweite Sprache bewältigen zu müssen, die vielen Tibetern verwirrend und fremdländisch vorkommt. Doch könnten sie, so sagte ein Tibeter, der in Indien studiert hatte, trotz der Hürden, welche die chinesische Sprache für sie bedeute, die tibetische Sprache nicht anständig lesen und schreiben lernen, wenn sie nicht die Tibetische Universität aufsuchten. Wenn man nun bedenkt, wie sehr die tibetische Sprache selbst an dem Ort, an dem man ihre Beherrschung erlernen soll, an den Rand gedrängt wird, sieht die Zukunft für die Landesprache düster aus. Als die Touristin am Barkhor Tibetisch zu sprechen versuchte, machte sich ein chinesischer Händler über sie lustig und sagte, als Nicht-Tibeterin solle sie sich gefälligst des Englischen oder Chinesischen bedienen.

Dieses Sprach-Labyrinth beginnt für Tibeter bereits in frühestem Alter– die Reisende berichtete, daß es in einer der Regionen, die sie besuchte, nur eine tibetische Mittelschule gab, wohin jedes Semester zwei oder drei Lehrer kamen, um tibetische Sprache und Kultur zu unterrichten, doch der weitere Unterricht erfolgte ausschließlich nach dem chinesischen Standard-Lehrplan. Obwohl Chinesisch-Unterricht überall angeboten wird und häufig schon in jungen Jahren Pflicht ist, ist zumindest noch in dieser Generation die Umgangssprache der Tibeter von klein auf Tibetisch. Doch haben in dieser Gegend schon mehrere tibetische Studenten aus Gründen der Zweckmäßigkeit chinesische Namen angenommen, außerdem ist es modern geworden Chinesisch zu lernen, um bessere soziale Aufstiegsmöglichkeiten zu haben. Die extreme Armut der ländlichen Regionen Tibets spiegelt sich deutlich im Erziehungswesen wieder. Tibetische Lehrer, die eine spezielle Fortbildung für den Englischunterricht gemacht hatten, mußten am Ende feststellen, daß sie ihre Kenntnisse nicht anwenden konnten, da es in dem Gebiet, wo sie unterrichteten, keine Englischschulbücher gab. Zwei Freunde der Berichterstatterin wurden erst nach einer Auseinandersetzung mit der Schulverwaltung als Lehrer angestellt, während ihre Bekannten in Lhasa ohne Probleme ihre Lehrerstellen antreten konnten.

Nicht nur das Erziehungswesen ist in den ländlichen Gebieten der TAR von der Armut betroffen. Man kann beobachten, daß es den meisten Tibetern so schlecht geht, daß sie sich als Kleinhändler betätigen und zu ihrem Überleben gar noch ihre Religion und Kultur zu einer Ware machen müssen. Buddhistische Kultgegenstände, Tierhäute, getrocknete Pfoten, Schleifsteine, Kräuter und Schmuck gehören zum üblichen Sortiment. Der Reisenden fiel auf, daß auch viele Chinesen in dieses Geschäft eingestiegen sind, allerdings verkaufen sie die tibetischen Waren zu überhöhten Preisen in Läden, die als original tibetisch angepriesen werden, tatsächlich aber Han-Chinesen gehören. Das ist durchaus gängige Praxis, ebenso wie die Speisekarten mit besonderen Preisen für Ausländer. Nach einem solchen Erlebnis fragte die Reisende eine Freundin nach dem Grund für die inflationären Preise und erhielt zur Antwort, daß die Chinesen, die nach Tibet kommen, "sehr schlecht" und nur am Geld interessiert seien.

Die Vorstellung von den Tibetern, wie sie einige Chinesen hatten, mit den sich die Reisende unterhielt, war eine Mischung aus Mißverständnissen und Propaganda. Einige Chinesen, die selbst nur sehr wenig Kontakt zu Tibetern hatten, waren der festen Überzeugung, diese seien "rückständig, dreckig und faul". Es ist daher nicht weiter überraschend, daß die Reisende sogar auf Tibeter stieß, die über ihr eigenes Volk auch eine solche Meinung hegten, die darüber bestürzt waren, daß Tibet weit hinter dem restlichen China zurückbleibe, und daß die Besten ins Ausland gegangen seien. Diese Meinungen wurden mit dem Vorbehalt laut, daß die Chinesen die Tibeter zum Trinken ermuntert hätten, weshalb diese heutzutage wesentlich fauler als ihre Vorfahren seien.

Trotz der offensichtlichen Spannungen zwischen Tibetern und Chinesen, die manchmal sogar in Prügeleien ausarteten, traf die Reisende auch mehrere junge Chinesen, die Tibet kennenlernen wollten und in Lhasa arbeiteten, um ihre Reise zu finanzieren und tibetisches Kunsthandwerk zu erwerben. Mitgerissen vom Idealismus und einer aus kommerziellem Interesse geförderten Phantasievorstellung hielten viele der Chinesen, die sie traf, Tibet für einen magischen und unschuldigen Ort, dem etwas Reines, ja Unbeschreibliches innewohnt. Sogar, nachdem sie Tibet tatsächlich bereist hatten, hatten sich einige dieser Touristen noch ihre phantastische Illusion erhalten. Die Beibehaltung dieser "Shangri-La-Projektion" verdankt sich jedoch einer genau durchdachten Tourismuspolitik.

Touristenführer, die von den offiziell vorgeschriebenen Pfaden abweichen, werden entlassen, inhaftiert und mit Berufsverbot belegt; trotzdem gibt es immer noch einige inoffiziell geführte Touren. Eine Tour, an der die Reisende teilnahm, wurde von einem Tibeter geführt, der fließend Englisch sprach, unglaublich viel über die tibetische Geschichte und Mythologie wußte, den Dalai Lama in Indien besucht und drei Monate in einem chinesischen Gefängnis gesessen hatte, weil er Touristen an einen Ort geführt hatte, der den chinesischen Behörden nicht genehm war.

Eigentlich sollte man erwarten, daß die Zunahme der chinesischen Touristen zu mehr Verständnis für die tibetische Kultur führe. Wie die Reisende berichtete, bestand beim tibetischen Shoton-Fest die überwiegende Mehrzahl der Besucher aus chinesischen Touristen. Trotzdem führt der Besuch in Tibet leider nicht zu vermehrtem Respekt vor der tibetischen Kultur – als chinesische Touristen von ihren Führern durch die Wohnquartiere der Mönche in Tashilhunpo geleitet wurden, benutzten sie zum Fotografieren der antiken Wandgemälde ihr Blitzlicht, obwohl dort Schilder angebracht waren, die dies ausdrücklich untersagten, und die Führer für die schon abblätternden Wandmalereien zu Spenden aufriefen. Diese Beobachtungen verdeutlichen, wie die Chinesen Tibet im allgemeinen wahrnehmen.

Eine Chinesin, die von der Shangri-La-Vision von Tibet verführt war, erzählte der Reisenden, ihre Eltern pflegten zu sagen, Tibet sei nur für einen Besuch gut, nicht zum dort leben. Während ihrer gesamten Reise bemerkte die Reisende eine deutliche Kluft zwischen Tibetern und Chinesen. Erstere wohnten in Häusern ohne Elektrizität und sauberes Wasser, während die chinesischen Siedlungen durchgehend durch moderne Betonbauten in gut kommunistischer Manier gekennzeichnet waren. Einige etwas wohlhabendere tibetische Mittelklasse-Familien hatten gerahmte Portraits von Mao Zedong, Deng Xiaoping und Jiang Zemin in ihren Häusern hängen. Die Erfahrungen der Reisenden lassen darauf schließen, daß die tibetische Kultur nur dann aufs Podest gestellt wird, wenn man ein Preisschild daran befestigen kann. Die Chinesen sind nicht mit der Absicht nach Tibet gekommen, dort mit den Tibetern zu leben, sie leben "über" ihnen und um sie herum; und indem sie Tibet sinisierten, haben sie eine Schneise mitten durch sie hindurch, durch ihre Sprache, Kultur und Landschaften gezogen. Die Umwandlung Tibets von einem eigenständigen Gemeinwesen in ein "Quasi-China" ist auf dem besten Wege.

Diese Informationen stammen von einer westlichen Touristin, die anonym bleiben will, denn sie möchte Tibet ein zweites Mal bereisen. Wir möchten hinzufügen, daß der Bericht so redigiert wurde, daß alles, was zur Verhaftung der Informantin oder ihrer tibetischen Freunde in Tibet führen könnte, ausgelassen wurde.

Teil 5

15 Jahre Haft für das Zerbrechen von Schildern und Anbringen von politischen Plakaten

Lobsang Tsegyal wurde 1963 im Dorf Sana, Distrikt Pashoe, Präfektur Chamdo, TAR, in einer Bauernfamilie geboren. Bereits in früher Kindheit trat er ins örtliche Kloster Serwa ein und studierte buddhistische Philosophie und die heiligen Schriften. Lobsang war ein exzellenter Student und machte sich auch als Mönch verdient.

Im März 1994 stellte Lobsang zusammen mit vier befreundeten Mönchen - Chime Dorjee (geb. 1967), Lobsang Palden (geb. 1970), Lobsang Jinpa (geb. 1971) und Jampa Tashi (geb. 1968) - in seinem Zimmer Unabhängigkeitsplakate und Flugblätter her. Im Schutze der Dunkelheit begaben sie sich in die Stadt Lingkha und gingen dort zum Sitz der Stadtverwaltung. Vom Haupteingang des Gebäudes entfernten sie Schilder mit der Aufschrift "Städtische Volksregierung" und "Hauptquartier der Partei" und zerbrachen diese. Anstelle der Schilder klebten sie Plakate an, auf denen die Unabhängigkeit Tibets gefordert und der Hoffnung auf ein langes Leben für den Dalai Lama Ausdruck gegeben wurde.

Bei Tagesanbruch marschierte Lobsang mit seinen Gefährten in Richtung Distrikt Pashoe, um vor dem Haupt-Verwaltungsgebäude des Distrikts zu demonstrieren. Als die Gruppe auf dem Weg eine Rast einlegte, tauchte plötzlich der Parteisekretär der Stadt Lingkha namens Lobsang auf. Offensichtlich war er gerade unterwegs, um die Distriktsbehörden über die zerbrochenen Schilder und politischen Plakate in der Stadt zu informieren. Er hatte bereits das Kloster Serwa im Verdacht. Als er die Mönche jedoch bei der Rast sah, gab er vor, von nichts zu wissen und bot ihnen an, sie mitzunehmen. Die Mönche stiegen in das Fahrzeug ein und wurden geradewegs zum Gefängnis des Distrikt-Sicherheitsbüros (PSB) gefahren.

Der Parteisekretär übergab die Mönche den Beamten des PSB und berichtete von ihren Aktivitäten in der vergangenen Nacht. Das PSB verhörte die Mönche unter schweren Schlägen. Lobsang Tsegyal wurde mit einer Pistole so heftig auf den Rücken geschlagen, daß seine Nieren geschädigt wurden und er auf dem Boden zusammenbrach. Später merkte er, daß er nicht mehr richtig gehen konnte. Seitdem hinkt er.

Um ein öffentliches Exempel zu statuieren, wurden die fünf mit Daumenschrauben am Eingang zum Distrikt-PSB aufgehängt. Die Beamten verlangten zu erfahren, wer der Verantwortliche sei. Einstimmig übernahmen die Mönche die Verantwortung.

Der Mittlere Volksgerichtshof von Chamdo verurteilte die Mönche zu langjährigen Haftstrafen. Lobsang Tsegyal, Chime Dorjee und Lobsang Jinpa erhielten 15 Jahre Haft, während Jampa Tashi und Lobsang Palden zu je 12 Jahren verurteilt wurden. Lobsang Tsegyal, Chime Dorjee und Lobsang Jinpa verbüßen ihre Strafen im Drapchi-Gefängnis; Jampa Tashi und Lobsang Palden sind im Gefängnis Powo Tramo inhaftiert.