Human Rights Update

November 2001

Inhalt
  1. Ehemaliger politischer Gefangener berichtet über Gefängnis und Folter
  2. Verhaftung von Gyaljing
  3. Gendun Gyatso wird festgenommen und gefoltert
  4. Andere politische Häftlinge
  5. Abbruch von Geschäften im Namen der Entwicklung in Kreis Sog
  6. Restriktionen für Zulassung zu Klöstern in Lhasa
  7. Sicherheit in Distrikt Purang verschärft
  8. Kailash-Pilger müssen Gebühren zahlen
  9. Schlechte Gesundheitsversorgung in ländlichen Gebieten
  10. Portrait: 15 Jahre Gefängnis wegen Druckstöcken mit politischen Losungen
Teil 1

Ehemaliger politischer Gefangener berichtet über Gefängnis und Folter

Gendun Gyatso (Laienname Yonten Phuntsok), der vor kurzem aus Tibet floh, berichtet über seine Zeit in der Gefangenschaft und über das, was andere Mönche durchmachen mußten. Der in Thonney, Distrikt Chamdo, Präfektur Chamdo, TAR, geborene Gyatso stammt aus einer Nomadenfamilie. Mit 14 Jahren trat er 1995 in das Kloster Pomda ein, das zu dieser Zeit 70 Mönche beherbergte.

Am 28. Juli 1997, so erzählte er, sei das erste Mal ein Arbeitsteam zur politischen Erziehung nach Pomda gekommen. Es bestand aus 30 Kadern und unterstand Tenzin Norbu vom Kreis Drayab und Tsewang vom Amt für Religionsangelegenheiten des Kreises Pashoe. Die 70 Mönche wurden in drei Gruppen eingeteilt und jede separat indoktriniert. Die patriotischen Unterrichtsklassen begannen um 9 Uhr morgens und dauerten bis zur Mittagspause und dann wieder von 15 bis 21 Uhr. Die Kader verlangten von den Mönchen den Dalai Lama und die Aktivitäten der "Spalter" zu verwerfen und statt dessen dem chinesischen Mutterland Loyalität zu bezeugen.

Am 16. August 1997 legte das Arbeitsteam den Mönchen ein Dokument mit Verunglimpfungen des Dalai Lama und der "Spalter" vor. Der Reihe nach wurden sie aufgefordert, es zu lesen und dann zu unterschreiben. Als das Schriftstück schließlich bei Gyaljing (Laienname: Lobsang Tsering) ankam, erklärte dieser, er könne die yenag (geschriebene Buchstaben "ohne Kopf") nicht lesen, sondern nur die yekar (Buchstaben "mit Kopf"). Die Kader übertrugen sofort das Dokument in yekar, aber Gyaljing weigerte sich dennoch, es zu unterschreiben. Er war der Zuchtmeister des Klosters (tib. geko) und teilte sein Zimmer mit Gyatso.

Teil 2

Verhaftung von Gyaljing

Während Gyaljing sich weigerte, das Dokument zu unterschreiben, erklärte er den Kadern vor allen anderen Mönchen, aus ähnlichen Gründen habe er vor zwei Jahren Kloster Chamdo verlassen und sei nach Pomda gekommen. Die Arbeitsteam Kader führten Gyaljing daraufhin in die Polizeistation der Gemeinde Pomda ab (wohin normalerweise nur Leute mit geringen Vergehen kommen). Dort wurde er vernommen und erbarmungslos geschlagen. Die Polizeioffiziere versuchten ihn mit brutaler Gewalt zum Unterschreiben zu bringen. Gyaljing rief statt dessen Parolen wie "Lange lebe der Dalai Lama" und "Free Tibet". Augenblicklich fesselten sie ihm die Hände auf dem Rücken und stopften ihm ein Tuch in den Mund. Unterdessen durchsuchten die Polizisten sein Zimmer (das Gyaljing mit Gyatso teilte), wobei sie eine handgemalte tibetische Flagge mit einem Photo des Dalai Lama im Mittelpunkt fanden.

Am selben Abend beschlossen etwa 60 Mönche, eher das Kloster zu verlassen, als weiterhin den patriotischen Erziehungsklassen ausgesetzt zu sein. Nur 9 Mönche blieben zu der Zeit im Kloster. Gyatso wurde verdächtigt, er habe die Mönche zur Flucht en masse aufgestachelt. Am nächsten Tag begannen Polizeibeamte und Arbeitsteam Kader nach den Mönchen zu suchen, aber vergeblich. Sie gingen auch zu deren Eltern und drohten ihnen mit Bestrafung, falls sie nicht sagten, wo die Mönche sich versteckten. Diese hielten sich etwa 8 bis 10 Tage verborgen.

Schließlich rief der Abt von Kloster Pomda die Mönche zur Rückkehr auf. Die Offiziellen hatten ihm wiederholt versprochen, es würde keine weiteren Umerziehungsklassen mehr geben. Die Mönche kehrten daher um den 27. August herum ins Kloster zurück. Nun umstellten etwa 80 paramilitärische Kräfte von PSB (Public Security Bureau) und PAP (People's Armed Police) das Kloster und nahmen sich die Mönche einzeln zur Vernehmung vor.

Zufällig hörten sie, wie der Mönch Yonten sich erkundigte, ob Gyaljing verhaftet worden sei. Sofort schöpften sie schweren Verdacht gegen Yonten, bedrängten ihn mit Fragen und durchsuchten sein Zimmer. Sie sahen eine Zeichnung mit Bergen und Schneelöwen (Elemente der tibetischen Nationalflagge) an der Wand von Yontens Zimmer. Nun fiel ihr Verdacht auf Yonten, er könnte die Flagge gemalt haben, die sie zuvor im Zimmer Gyaljings und Gyatsos gefunden hatten. Sie schlugen ihn so brutal, daß er die Schmerzen nicht mehr aushalten konnte und schließlich sagte, sein Cousin Lobsang, ebenfalls Mönch im Kloster, sei der Urheber der Flagge. Folglich wurde Lobsang am 28. August 1997 verhaftet und in das PSB Haftzentrum von Chamdo gebracht. Vier Tage lang wurde Lobsang fürchterlich geschlagen, bis er schließlich unter Folter aussagte, Gyatso habe die tibetische Flagge gemalt.

Teil 3

Gendun Gyatso wird festgenommen und gefoltert

Am 2. September 1997 transportierten PSB Offiziere Gyatso in das PSB Haftzentrum ab und vernahmen ihn wegen der Sache mit der Flagge. Am folgenden Tag mußte er eine Erklärung über seine Verbrechen unterschreiben. In den 3 Monaten seiner Inhaftierung erlitt Gyatso schwere Mißhandlungen und Folterungen. Er sagte, seine Peiniger seien PSB Kräfte und Milizen einer Anti-Krawall-Einheit gewesen, darunter auch ein paar Tibeter.

Sie stießen ihn am Rumpf und Kopf und schlugen ihn mit elektrischen Keulen (die etwa einen halben Meter lang und flexibel wie ein Gummiknüppel waren) auf Rücken und Gesäß, so daß er jedes Mal, wenn die Keule seine Haut berührte, einen elektrischen Schlag bekam. Einmal seien es 20 Folterer, Männer und Frauen, gewesen, die ihn abwechselnd mit einem elektrisch-geladenen Seil schlugen. Sie marterten ihn so sehr, daß er wochenlang nicht sitzen und nicht auf dem Rücken liegen konnte. Er wurde nicht ärztlich versorgt und bekam in der ganzen Zeit außer seinem Zellengenossen keinen anderen Gefangenen zu Gesicht.

Gyatso berichtete, die schlimmste Tortur, die er durchmachte, sei gewesen, als er in ein kleines Zimmer gesperrt wurde, das von Wasser überflutet war. Die Peiniger schickten ihm Stromstöße durch das Wasser, bis er bewußtlos umfiel. Nach geraumer Zeit erwachte er dann in seiner Zelle. Vier Mal ließen sie ihn in kalten Winternächten nur mit Hemd und Unterhose bekleidet im Freien stehen. Zudem trug er Handschellen und die Arme wurden ihm über dem Kopf zusammengebunden. Während seiner Zeit im Gefängnis wurde Gyatso wahllos zu jeder beliebigen Tages- oder Nachtzeit gefoltert.

Am 10. November 1997 wurde Gyatso mit 3 Jahren "Umerziehung-durch-Arbeit" bestraft. Zur Zeit seiner Festnahme war er dem chinesischen Gesetz nach noch minderjährig und konnte daher nicht wie ein politischer Häftling behandelt werden. Mitte Dezember wurde Gyatso in das Zethang Lager zur Umerziehung-durch-Arbeit (chin. lao jiao suo) in Chamdo transferiert. Dort wurde er zu schwerer Arbeit herangezogen, aber nicht mehr geschlagen oder gefoltert.

Sein Urteil lautete auf ursprünglich drei Jahre Zwangsarbeit. Das Amt für Öffentliche Sicherheit verlängerte seine Strafe jedoch um einen Monat, nachdem er mit einem Bild des Dalai Lama unter seinem Kopfkissen erwischt wurde. Gyatso hatte es in einem der chinesischen Propagandahefte gefunden, die in der Strafanstalt verteilt werden, um den Dalai Lama in Mißkredit zu bringen. Gyatso leidet immer noch an den Nachwirkungen der Folter. Er hat einen Niederschaden, der sich verschlimmert, sobald er der Kälte ausgesetzt ist.

Teil 4

Andere politische Häftlinge

Gyatso machte auch Angaben zur Identität einiger Mitgefangener in dem PSB Haftzentrum von Chamdo. Er erinnert sich besonders an die sieben Mönche aus dem Kloster Serwa in Kreis Pashoe, die am 1. Juli 1997 (dem Tag der Übergabe Hongkongs an China) verhaftet wurden. Die diesbezügliche Information erhielt er von Dawa Dorjee, einem jener sieben Mönche. Wie in der Ausgabe Human Rights Update vom Oktober 1997 berichtet, wurden die sieben Mönche verhaftet, weil sie in einer gewagten Demonstration "Free Tibet" gerufen hatten. Ihre Namen und ihr Alter (zur Zeit der Festnahme) sind: Tashi Phuntsok (25), Rinzin Choephel (24), Sherab Tsultrim (25), Dawa Dorjee (24), Lobsang Damchoe (26), Ngawang Choephel (16) und Lobsang Dechen (25). Von ihnen wurde Rinzin Choephel zu 8 Jahren verurteilt, während die Strafen der anderen zwischen 4 und 7 Jahren liegen. Die sieben Mönche wurden irgendwann im September 2000 von dem PSB Haftzentrum Chamdo in das Drapchi Gefängnis verlegt.

Dawa Dorjee erzählte Gyatso, welche Folterqualen die sieben in der Haft erlitten. Sie wurden nackt ausgezogen und mit dem Kopf nach unten aufgehängt. Sie wurden am ganzen Leib mit Stöcken geschlagen, und elektrische Waffen wurden an ihre Genitalien gelegt, wodurch sie ernste Brandwunden davontrugen. Sie mußten dann aufrecht hinstehen und man haute sie wiederholt mit einem dicken Stock auf das Schienbein, bis sie umfielen. Die Polizeischergen traten sie dann mit ihren Stiefeln auf Kopf und Gesicht. Die von Blut und Exkreten verschmierten Mönche mußten zur Wand kriechen und sich dort wieder aufrichten.

Gyatso wußte auch etwas über die Verhaftung von Lobsang Dhondup, der zu drei Jahren verurteilt worden war, weil er im Juli 2000 Wandzettel mit "Free Tibet" im Chamdo Gefängnis angebracht hatte. Dieser stammt ursprünglich aus Thenthok, Kreis Dzogang, Präfektur Chamdo, und soll 2003 entlassen werden. Lobsang sei der Neffe von Tashi Rabten, der am 1. Mai 2000 unter mysteriösen Umständen im Kloster Thenthok während der Anwesenheit eines Arbeitsteams starb. Die Kader hatten die Mönche gezwungen, sich vom Dalai Lama abzukehren, und alle seine Bilder konfisziert.

Unser Berichterstatter Gyatso wurde nach Vollendung seiner Strafe von 3 Jahren und 1 Monat im Oktober 2000 entlassen. Er durfte nicht mehr nach Kloster Pomda zurückkehren und sich auch keinem anderen Kloster anschließen. Drei Monate lang wohnte er in Pomda und begab sich dann nach Shigatse, wo er sich weitere 8 Monate aufhielt. Er traf am 4. November 2001 in dem Tibetan Refugee Reception Centre in Kathmandu ein.

Teil 5

Abbruch von Geschäften im Namen der Entwicklung in Kreis Sog

1998 verkündete die chinesische Verwaltung von Kreis Sog, Präfektur Nagchu, daß im Rahmen des Programms zur Erschließung des Westens die in der Gegend existierenden Läden abgerissen werden müßten und statt dessen neue gebaut würden. Der Grund und Boden, auf dem diese Läden stünden, sei ja schließlich Eigentum des chinesischen Staates. Den Besitzern wurde ein paar Tage Zeit gegeben, um ihre Läden zu demolieren und Installationen und Holzgegenstände mitzunehmen. Andernfalls, so wurde ihnen gedroht, würde die Regierung zur Abreißung der Läden schreiten und alles zerstören.

Viele Geschäfte in traditionellem tibetischen Stil wurden demoliert und durch neue ersetzt, wie von den Behörden gefordert. Diese nach chinesischer Manier gebauten neuen Läden sind nun alle Staatseigentum. Die Behörden boten die neuen Läden zu hohen Preisen zum Verkauf oder zur Vermietung an. Unser Informant zahlte beispielsweise 20.000 Yuan, um einen Laden an einem viel schlechteren Platz als dem bisherigen zu erwerben. Die durchschnittliche Miete für die neuen Läden liegt bei rund 7.000 Yuan pro Monat, was die Möglichkeiten der meisten tibetischen Geschäftsleute bei weitem übersteigt. Unser Informant nannte als Beispiel einen Tibeter, der eine Teebude betrieb und nun in einen der neuen Läden umzog. Er zahlt monatlich 7.000 Yuan Miete an die Regierung, eine Summe, die er aus den Einnahmen seines Geschäfts nicht bestreiten kann.

Chinesische Händler haben inzwischen die Gegend überflutet. Sie haben Zugang zu billigen chinesischen Waren, welche sie zu einem solchen Preis verkaufen, daß sie die Miete zahlen oder die Läden kaufen können. Heute sind bereits 48 Einzelgeschäfte in Händen der chinesischen Siedler, während nur noch neun Tibetern gehören. Die Anzahl der von Tibetern betriebenen Geschäfte nimmt rapide ab. Unser Informant erzählte, die tibetischen Geschäfte hätten bis 1998 ganz gut floriert. Er schätzt, 1998 habe es rund 40-50 Läden in Kreis Sog gegeben, von denen Chinesen nur einen oder zwei besaßen und alle übrigen Tibetern gehörten.

In Kreis Sog wohnen hauptsächlich Bauern und Nomaden. 1980 wurde das weiter unten gelegene Ackerland je nach Anzahl der Mitglieder den einzelnen Haushalten zugeteilt. Die Familie des Informanten bekam ein ziemlich großes Stück Land, weil sie viele Personen zählte. Diese bauten Gerste an und hatten auch etwas Vieh, das sie im Sommer zur Weide in die Berge brachten.

Im Januar 2000 teilten die Behörden auch die höher gelegenen Landstriche auf, wo die Nomaden normalerweise ihre Herden weiden und wo die wertvolle Heilpflanze yartsa gunbu wächst. Bisher konnte jeder in dieser Gegend seine Tiere grasen lassen. Nachdem nun Grenzen abgesteckt wurden, brachen Streitigkeiten über die Nutzung der Weidegründe unter den Leuten aus. Besonders heftig waren sie dort, wo auf den abgeteilten Weideflächen yartsa gunbu wächst. Die Zwiste arteten manchmal gewalttätig aus und es kamen sogar Leute um. Die Tibeter ersuchten die lokalen Behörden, die Weidelandzuteilung einzustellen, weil sie noch mehr Übergriffe fürchteten. Zur Zeit des Weggangs unseres Informanten sind die Behörden immer noch nicht auf die Beschwerden der Tibeter eingegangen.

Er erzählte auch von der Not einer besonders armen Familie. Der Vater und die älteste Tochter starben, während der älteste Sohn durch eine schlimme Verletzung arbeitsunfähig wurde. Die Dörfler des Ortes gingen zu dem Gemeindeamt, um Hilfe für die Familie zu suchen. Man antwortete ihnen, sie sollten sich an die Kreisbehörde wenden. Nach wiederholten Bitten gewährte diese der Familie 300 Yuan Beihilfe. Die lokalen Banken weigerten sich, selbst unter persönlicher Garantie für den Kredit dieser Familie Geld zu leihen. Sie hängt nun vollständig von der Mildtätigkeit anderer Tibeter des Ortes ab. Sie hat kein Einkommen und keine soziale Sicherheit.

Familien mit Eigentum können dieses an Banken verpfänden, um Kredite zu bekommen. Zu diesem Zweck muß eine Familie aber Besitz im doppelten Wert des Kredits haben. Die Zentralregierung in Peking besteuert die Kreditsumme im Namen des "Helft-den-Armen" Schemas mit 25%. Theoretisch sollte dieser Fonds ärmeren Familien zugänglich sein, um Geld für Hausbau u.ä. zu borgen. In der Praxis bekommen die armen Familien jedoch, wie das genannte Beispiel zeigt, keinen Kredit. Der Informant konnte nichts Genaues über die Verwendung der 25%igen Steuer sagen. Obwohl 25% von dem Darlehen weggenommen werden, muß der Kreditnehmer Zinsen zahlen und den vollen von der Bank geliehenen Betrag zurückzahlen.

Was die Krankenversorgung in Kreis Sog betrifft, gäbe für alle Dörfer eine Krankenstation mit einem Arzt. Die lokalen Tibeter müßten eine Kaution von 2.000 leisten, ehe sie ärztlich versorgt werden. Ohne diese behandle der Arzt sie einfach nicht, ganz egal wie ernst ihre Krankheit ist. Obwohl sie so viel Vorschuß für die Behandlung zahlen, müssen die Leute seit 2001 zusätzlich eine Art Krankenversicherung von 20 Yuan pro Person leisten. Es scheint aber, daß noch keiner der Dorfbewohner in den Genuß dieses willkürlich kassierten Geldes gekommen ist.

1996 wurde Dhimey, unser Informant, von den Dörflern zur Regelung der Angelegenheiten seines Dorfes in Kreis Sog gewählt. Er versah dieses Amt 5 Jahre lang. Für jedes Dorf in Kreis Sog werden fünf Parteimitglieder von der lokalen Regierung ernannt, deren Hauptpflicht es ist, "spalterische Aktivitäten" in dem Dorf aufzuspüren. Während seiner Amtszeit als Dorfchef mußte Dhimey schriftlich garantieren, daß er für jeglichen politischen Vorfall in der Gegend Verantwortung trage.

Dhimeys Hauptaufgabe war es, als Mittelsmann zwischen den lokalen Bewohnern und den Kreisbehörden zu fungieren. Bei den Meetings, die allmonatlich in dem Dorf stattfanden, mußte Dhimey offizielle chinesische Dokumente verlesen, die hauptsächlich die "Dalai Clique" verurteilten oder Reden von kommunistischen Parteigrößen wie Maotse Dung, Deng Xiapong, Jiang Zemin, Guo Jinlong und Raidi enthielten. In diesen Texten wurde die von den Chinesen in Tibet gebrachte Entwicklung und die Größe Pekings gerühmt. Dhimey zufolge beabsichtigt die Regierung mit dieser Methode die Tibeter in kommunistischer Ideologie zu indoktrinieren.

Dhimey sagt, alle Vorsteher von Regierungsämtern in Kreis Sog seien inzwischen Chinesen, während vor 2000 noch einige Tibeter unter ihnen waren. Die offizielle Begründung für diese Veränderung ab 2001 ist, daß Kreis Sog schon immer eine "Brutstätte politischer Aktivität" gewesen sei. Die Besetzung mit chinesischen Funktionären soll weiterem politischem Dissens vorbeugen. Er schätzt, daß es zusätzlich zu dem großen Kontingent an Militärpersonal gegenwärtig 200 chinesische Zivilisten an dem Ort gebe. Früher waren nur chinesische Kader da, aber nun kommen mehr und mehr Zivilisten. Diese neue Schar chinesischer Zuwanderer nimmt die neuen Häuser für sich in Anspruch und macht neue Geschäfte auf. Der Zustrom chinesischer Siedler in Kreis Sog nimmt von Jahr zu Jahr zu, und wie es scheint, haben sie es viel leichter als Tibeter, die zum Start eines Geschäftes notwendigen Lizenzen zu erwerben. Während er die Angelegenheiten des Dorfes leitete, ersuchte Dhimey die chinesischen Behörden immer wieder, eine Straße zu bauen und sein Dorf zu elektrifizieren. Trotz seiner anhaltenden Bittschriften bekam Dhimey nie eine positive Antwort. Er vermutet daher, daß das im Rahmen des "Entwicklungsprogramms für den Westen" zugeteilte Geld seinem Dorf keine Verbesserungen bringen wird, weil keine Chinesen dort wohnen.

Dhimey erläuterte, wie Diskriminierung solcher Art auf allen Gebieten der Dorfentwicklung geübt wird. So befand sich die Dorfschule, die etwa 27 Schüler zählt, in einem desolaten Zustand. Er appellierte an die Schulbehörde um Beihilfe, aber erhielt auch in dieser Sache niemals einen positiven Bescheid. Dhimey floh in einer Gruppe von 42 Personen aus Tibet, von denen die meisten Mönche waren. Sogar ein 9-jähriger Bub war dabei. Der Wegführer erzählte Dhimey über die Verhaftung einer Gruppe von 60 flüchtenden Tibetern. Der guide jener Gruppe soll zu 4 Jahren Gefängnis verurteilt worden sein. Dhimeys Gruppe, die am 12. November Kathmandu erreichte, machte auf ihrer Flucht in die Freiheit viel durch. Einer der Guides erkrankte und mußte zurückkehren. Andere wurden ebenfalls krank und litten Hunger. Einige mußte sogar Eis und Schnee essen.

Teil 6

Restriktionen für Zulassung zu Klöstern in Lhasa

Eine komplizierte und aufwendige Reihe von bürokratischen Schritten macht es den Anwärtern auf das Klosterleben in Lhasa sehr schwer, sich in Stätten religiöser Gelehrsamkeit einzuschreiben. Nachdem Karma Nyandak 6 Jahre in dem Kloster Payen in der Provinz Sichuan zubrachte, beschloß er, sich zu höheren Studien entweder nach Sera oder Drepung in Lhasa zu begeben. In Lhasa mußte er eine lange Reihe bürokratischer Prozeduren durchlaufen, ehe er zu einem der Klöster zugelassen wurde. Insgesamt 6 offizielle Dokumente brauchte er, um die Genehmigung zum Eintritt zu bekommen:

1) schriftliche Empfehlung von seinem bisherigen Kloster, in der bescheinigt wird, daß er beabsichtigt, das Kloster zu verlassen

2) schriftliche Genehmigung von den Lokalbehörden der Gemeinde Jarnon in Kreis Tengchen

3) schriftliche Genehmigung von den Lokalbehörden des Kreises Tengchen

4) schriftliche Genehmigung von der Stadt Chamdo

5) schriftliche Genehmigung von dem Amt für Religiöse Angelegenheiten in Lhasa

6) das letzte offizielle Dokument, das Nyandak beschaffen mußte, war von einem weiteren Regierungsamt in Lhasa, an dessen Namen sich Nyandak bei unserem Interview nicht mehr erinnern konnte. Diesem Amt, das vermutlich eng mit dem PSB zusammenhängt, steht die letzte Entscheidung zu über die Aufnahme von Mönchen in die drei großen Klöster Lhasas - Sera, Drepung und Gaden..

Obwohl die ganze Sache nicht sehr kostspielig war, wurde sich Nyandak angesichts der Schwierigkeit, die erforderlichen Dokumente zu beschaffen, immer mehr bewußt, daß sich sein Traum, in Sera oder Drepung zu studieren, niemals erfüllen würde. Er klagte: "Die Zeit, die man verschwenden muß, um bei all diesen Ämtern um Genehmigung nachzusuchen und das herzlose Gebaren der chinesischen Beamten, die einen nur hinhalten, macht es Mönchen fast unmöglich, in die Klöster in Lhasa einzutreten, besonders jenen aus Osttibet". Selbst wenn es ihm gelungen wäre, die notwendigen Dokumente zu beschaffen und er aufgenommen worden wäre - so fuhr er fort - hätte er nicht an den offiziellen religiösen Funktionen teilnehmen dürfen.

Nyandak berichtete auch, die chinesischen Behörden in Lhasa würden von jedem Angestellten im Staatsdienst, der ertappt wird, daß er Spenden an Klöster tätigt, eine Geldbuße verlangen. Dadurch hat die Zahl der Förderer religiöser Institutionen so sehr abgenommen, daß sie es finanziell äußerst schwer haben und kaum mehr existieren können.

Karma Nyandak wuchs in Kreis Tengchen, Präfektur Chamdo, TAR, auf. Nach Abschluß der örtlichen Schule trat er mit 14 Jahren in das Kloster Nagsong ein, das damals 168 Mönche zählte. Einige Jahre später wechselte er in das Kloster Payen in der Provinz Sichuan über, das über eine Tagesreise von dem Serthar Komplex entfernt liegt. Kloster Payen beherbergte annähernd 2.000 Mönche. Chinesische Arbeitsteams hatten ihnen verboten, Dalai Lama Bilder aufzustellen. Karma Nyandak erreichte am 27. Oktober 2001 Kathmandu.

Teil 7

Sicherheit in Distrikt Purang verschärft

Es scheint, daß die im März 2001 bevorstehende Ankunft von etwa 50 tibetischen Pilgern aus Indien zum Berg Kailash den chinesischen Behörden in Kreis Purang ziemliche Sorgen bereitete. Sie verschärften die Sicherheitsmaßnahmen entlang der Routen zum Berg Kailash, um der Infiltration "spalterischer" Tendenzen" seitens der "Dalai Clique" vorzubeugen. Bewaffnete Polizei war massenhaft um Purang herum stationiert, um die Identität der Pilger zu kontrollieren. Viele Sicherheitsposten wurden entlang der Routen eingerichtet. Lokale Tibeter fürchteten, das Sicherheitspersonal könnte gegen die Pilger vorgehen und sie unnötigen Schikanen aussetzen. Unser Informant Dechen Tashi erfuhr von diesen Verhältnissen, als er wegen versuchter Flucht ins Exil in Purang festgesetzt wurde.

Tashi wollte erstmals im Juni 1999 via Purang (chin. Pulan xian), Präfektur Ngari in Westtibet fliehen. Die Grenzpolizei in Purang hielt ihn aber zwei Monate lang gefangen und fragte ihn, ob es seine Absicht sei, den Dalai Lama zu sehen. Tashi antwortete, er würde auf Pilgerfahrt nach Indien gehen. Er wurde schwer geschlagen und mußte sich hinknien, während die Peiniger ihn mit den Füßen traten und auf seinem Rücken herumstampften.

Schließlich wurde er unter der Bedingung entlassen, daß er unverzüglich in seine Heimatstadt zurückkehre. Sollte er wieder zu entfliehen versuchen, drohten sie ihm mit Inhaftierung und Hinrichtung. Die Offiziere nahmen Fingerabdrücke von ihm und ließen ihn eine Erklärung unterschreiben, daß er nicht mehr fliehen würde. Soweit Tashi bekannt ist, waren gleichzeitig mit ihm mindestens 30 Tibeter in Purang eingesperrt, die versucht hatten, nach Indien zu fliehen.

Nach seiner Entlassung betätigte er sich als Händler in seiner Heimatstadt. Er machte Geschäfte mit Khampas und verkaufte Waren an Nepali Händler. Er arbeitete auch als Zimmermann. Tashi berichtete, daß Wegführer, egal ob Tibeter oder Sherpas, mit schweren Geldstrafen belegt werden, wenn sie dabei erwischt werden, wie sie Flüchtlinge über die Grenze bringen. Er weiß von einigen solchen Verhaftungen, wo die Guides von den staatlichen Handlagern gefoltert wurden. Dechen Tashi stammt aus der Gemeinde Ragyal, Kreis Nangchen, Jyekundo TAP (chin. Yushul). Er ist ein Kleinhändler, der niemals eine Schule besucht hatte. Am 22. November 2001 erreichte er das Tibetan Reception Centre in Kathmandu. Nun möchte er eine Schule besuchen und später ein Geschäft in Indien betreiben.

Teil 8

Kailash-Pilger müssen Gebühren zahlen

Tashi Rigzin ist Kraftfahrer und wohnt in dem Dorf Woubu, Kreis Gerge (chin. Geji xian), Präfektur Ngari. Er erreichte am 5. November 2001 Kathmandu. Er berichtete dem Zentrum über die von Lokalbehörden für die Umwandlung des Berges Kailash eingeführten Restriktionen.

"Von meinem Dorf gibt es zwei Routen, um zum Kailash zu gelangen. Eine ist 600 km und eine 500 km lang. Bis vor etwas über einem Jahr unternahmen viele Tibeter aus meinem Dorf ungehindert Pilgerfahrten zum Kailash. Seit Sommer 2000 machten die Lokalbehörden neue Regeln geltend. Jeder Pilger zum Berg Kailash braucht nun eine Genehmigung.

Als ich diesmal zum Kailash ging, beantragte ich die Genehmigung bei dem zuständigen Amt der Präfektur Ngari. Zuerst ging ich zu dem Gemeindeamt, um eine Bescheinigung zu bekommen, daß ich ein unbescholtener Bürger des Gemeinde Tsaka bin. Mit diesem Brief ging ich dann zu dem PSB Büro des Kreises, wo sie ihn mit einer offiziellen Stempelmarke versahen. Dies kostete nichts. Später brachte ich den Brief zu dem PSB Büro der Präfektur Ngari, wo sie 10 Yuan verlangten. Das Amt behielt die Bescheinigung von der Gemeinde und stellte mir ein anderes Dokument mit seinem offiziellen Stempel aus. Damit ging ich zu dem Militärstützpunkt der Präfektur Ngari, wo man mir ein weiteres rotes Papier mit fünf Stempelmarken ausstellte, für das ich 34 Yuan zahlen mußte.

Die Strecke von der Präfekturhauptstadt Ngari bis zum Kailash beträgt 270 km Es gibt zwei Wege von Ngari zum Kailash. Einer geht durch den Kreis Purang und einer von der Gemeinde Maser aus. Dort gibt es einen Armee-Checkpost, der alle Pilger auf ihre Genehmigungen und Personalausweise kontrolliert. Wenn die Pilger die erforderlichen Papiere nicht vorweisen können, werden sie an ihren Herkunftsort zurückgeschickt. Ich zeigte dem Militärposten meine Genehmigung und sie registrierten meinen Namen und meine Ausweisnummer. Danach konnte ich den Kailash umrunden.

Pilger aus Kham und Amdo müssen zuerst zu ihrem jeweiligen Präfekturbüro in Lhasa gehen und sich dort ein Empfehlungsschreiben holen. Wenn sie aus Lhasa sind, wird ihnen dieses Dokument von ihrem "Nachbarschaftskomitee" ausgestellt. Damit gehen sie dann zu der Vertretung der Präfektur Ngari in Lhasa, wo sie sich die Genehmigung für den Kailash holen können. Für die Umrundung des Kailash sind Genehmigung und Personalausweis sehr wichtig."

Teil 9

Schlechte Gesundheitsversorgung in ländlichen Gebieten

Folgendes ist eine Zusammenfassung der Aussagen von tibetischen Flüchtlingen aus verschiedenen Gegenden Tibets über medizinische Betreuung.

In Kreis Tsigorthang, Tsolho TAP, Provinz Qinghai, wohnen etwa 400 tibetische Familien. Es gibt dort zwar eine lokale medizinische Station, aber diese ist schlecht ausgerüstet und hat weder ein Röntgengerät noch eine Operationsmöglichkeit. Patienten in ernstem Zustand werden in das nächst gelegene Kreishospital zur Behandlung verwiesen, dessen Chef ein Chinese ist. In der Gegend gibt es keinen einzigen in tibetischer Medizin ausgebildeten Arzt.

Tibetern in Distrikt Ngaba, Ngaba TAP, Provinz Sichuan, steht ein Krankenhaus zur Verfügung, aber sie müssen die vollen Kosten für die Behandlung tragen. An dem Krankenhaus gibt es keine tibetischen Ärzte und alles wird dort hauptsächlich auf Chinesisch abgewickelt, weshalb oft Dolmetscher notwendig sind

Die Bewohner des Dorfes Woubu, Kreis Gerge, Präfektur Ngari, TAR, haben weder medizinische Versorgung, noch elektrischen Strom, noch eine Schule. Wenn sie krank sind, müssen sie zu dem Gemeindehospital gehen, das 52 km weit weg liegt. Schwerkranke müssen zu dem Distrikthospital in 452 km Entfernung gebracht werden. Die Patienten müssen die vollen Kosten der Behandlung tragen, es sei denn sie sind im Besitz eines "Patienten-Ausweises", der die Kosten um die Hälfte verringert. Die Behörden von Distrikt Gerge machen seit einiger Zeit die Geburtenkontrollpolitik geltend, sie führten etwa Registrierung von Geburten ein und Geldstrafen für Familien mit mehr als zwei Kindern.

Teil 10

Portrait: 15 Jahre Gefängnis wegen Druckstöcken mit politischen Losungen

Tsering Lhagon (41) stammt aus dem Dorf #2, Gemeinde Yakla, Kreis Sog, Präfektur Nagchu. Seine Familie zählt 8 Personen - nebst ihm seine Frau (37), seine zwei Söhne und zwei Töchter unter 11 Jahren, seine Mutter Aya (65) und seine Schwester. Obwohl sie in der Hauptsache Bauern sind, besitzen sie auch etwas Vieh. Lhagon betätigte sich auch im Schneider-, Tischler- und Bauhandwerk. Er hatte nie eine Schule besucht. Seit früher Kindheit wurde er von seinem Vater unterrichtet, einem hervorragenden Baumeister seiner Zeit für traditionelle Gebäude im tibetischen Stil. Nach dem Tod seines Vaters während der Kulturrevolution in den siebziger Jahren fiel die Verantwortung, das traditionelle Handwerk seiner Familie weiterzuführen, auf seine Schultern.

Allmählich eignete sich Lhagon eine Menge Fertigkeiten an und wurde ein "qualifizierter Mann". Er arbeitete als Polier und als Oberaufseher beim Bau traditioneller tibetischer Häuser in seiner Gegend. Außerdem war er ein ausgezeichneter Schneider und Zimmermann. Kurz gesagt, seine Familie hatte einen guten Namen in der Gegend und er genoß Respekt. Ab 1985 war er für den Bau des Klosters Sog Tsendhen in Kreis Sog zuständig bis zu dessen Vollendung im Januar 2000.

Im März 2000 wurde Tsering Lhagon von Sicherheitskräften der TAR und PSB Polizisten von Nagchu und Sog verhaftet, nachdem zwei Holzdruckstöcke mit den Lettern "Free Tibet", "Lange lebe Seine Heiligkeit der Dalai Lama" "Tibet gehört den Tibetern" und "Chinesen verlaßt Tibet" in seiner Wohnung entdeckt wurden.

Etwa um dieselbe Zeit wurden fünf weitere Tibeter aus Kreis Sog an verschiedenen Tagen verhaftet. Diese sind Sey Khedup (27), Tenzin Choewang (64), Yeshi Tenzin (33), Trakru Yeshi (45) und Gyurmey (29). Sie wurden alle der Beteiligung an den politischen Aktivitäten angeklagt, die seit 1993 immer wieder in Kreis Sog aufflammten.

Fast neun Monate nach der Festnahme wurden Lhagon und die anderen Häftling Mitte Dezember 2000 dem Mittleren Volksgericht von Nagchu in einem öffentlichen Prozeß vorgestellt. Sie wurden der Unterstützung der Aktivitäten der Dalai Clique und der Gefährdung der Staatssicherheit angeklagt. Das Gericht legte als Beweis für die gegen sie erhobenen Beschuldigungen Unabhängigkeitsplakate, hölzerne Druckstöcke und Ton-Kassetten mit Reden des Dalai Lama vor.

Tsering Lhagon wurde daraufhin zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, während die anderen fünf Häftlinge mit Haftstrafen von sieben Jahren bis lebenslänglich belegt wurden. Gegenwärtig verbüßt er seine Strafe in dem Drapchi Gefängnis in Lhasa. Als Folge seiner Verhaftung geriet Lhagons Familie in äußerste Armut. Er war der einzige Ernährer der Familie gewesen. Jetzt muß seine Frau alleine für den Unterhalt der sieben Personen aufkommen. Wie berichtet wird, sind sie dem Hungertod nahe.

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