Human Rights Update

November 2000

Inhalt
  1. Tod des bekannten politischen Gefangenen Sholpa Dawa
  2. Tragödie an der Nepal-Tibet-Grenze: Ein Tibeter bezahlt den Weg in die Freiheit mit dem Leben
  3. Tibetischer Bauer von Steuern und anderen Abgaben niedergedrückt
  4. Das TCHRD veröffentlicht einen neuen Report über Rassismus
  5. Ein tibetischer Student wegen Anbringens von Freiheitsliedern verhaftet
  6. Weitere Einzelheiten zu den Gefängnisprotesten in Drapchi vom Mai 1998
  7. Mönche gezwungen, eine schriftliche Kritik am Dalai Lama abzufassen
  8. Portrait: Ngawang Dolma - eine Stimme hinter Gittern
Teil 1

Tod des bekannten politischen Gefangenen Sholpa Dawa

Sholpa Dawa, ein 60-jähriger Schneider aus Lhasa, starb um 7 Uhr am 19. November 2000. Es heißt, daß er wegen seines prekären Gesundheitszustandes wenige Tage vor seinem Tod in ein Hospital außerhalb des Drapchi Gefängniskomplexes gebracht worden war. Die genaue Todesursache ist nicht bekannt. Sein Körper wurde wahrscheinlich nicht den Verwandten zum Vollzug der Bestattungsriten übergeben. Seine Frau Lhakpa Dolma starb im August 1987, als Sholpa bereits im Gefängnis war.

Sholpa arbeitete als Bauarbeiter und betrieb später eine Schneiderei, bis er am 29. September 1981 wegen angeblichen Verteilens von Flugblättern über tibetische Unabhängigkeit verhaftet wurde. Damals wurde er zu zwei Jahren Haft und einem Jahr Entzug der politischen Rechte verurteilt, wovon er 6 Monate in der Gutsa Haftanstalt und 1½ Jahre in dem Sangyip Gefängnis verbrachte.

In dem Gerichtsurteil des Mittleren Volksgerichtes der Autonomen Region Tibet (TAR), Dokument Nr. 17, von 1982 heißt es: "1980 trafen sich Sholpa Dawa und die Angeklagten Lobsang Choedar und Tsering Lhamo in Lobsang Choedars Haus und schrieben Zirkulare über die Unabhängigkeit Tibets. Danach kontaktierte Sholpa den anderen Angeklagten, seinen Freund Lobsang Wangchuk, der ihm half, eine Geschichte über den unabhängigen Status Tibets und ein Zirkular mit dem Titel 'Zwanzig Jahre einer tragischen Erfahrung' zu verfassen".

Sholpa bat dann einen Freund und seinen Onkel, die in der Metall- und Holzkooperative arbeiteten, das Zirkular zu tippen und ihm zurückzugeben. Unter dem Vorwand, Kopien von religiösen Manuskripten zu machen, besorgte er sich bei der Kooperative eine Vervielfältigungsmaschine und stellte zu Hause über 160 Unabhängigkeitsposters und die verbotene tibetische Nationalflagge her. Nun verteilte er die Posters, wobei ihm Dhondup Dorje und Lobsang Choedar halfen.

Nach seiner Entlassung arbeitete er ein Jahr lang in Kreis Nyethang. Am 8. November 1985 wurde Sholpa wegen Verteilens von Flugschriften über die immer schwieriger werdenden Lebensumstände der Tibeter und die chinesische Invasion in Tibet zum zweiten Mal festgenommen und zusammen mit acht anderen jungen Tibetern unter Anklage gestellt. Diesmal wurde er zu 4 Jahren im Outridu Gefängnis (jetzt als Lhasa Gefängnis bekannt) verurteilt und seiner politischen Rechte für 1 Jahr beraubt.

Sholpas dritte Verhaftung erfolgte im August 1995 in Lhasa. Er wurde im Zusammenhang mit der Verteilung von Bildern des jungen, vom Dalai Lama anerkannten Panchen Lama festgenommen. In Lhasa ging jedoch das Gerücht, Sholpa sei vorsichtshalber wegen der Feiern zum 30. Jahrestag der Gründung der Autonomen Region Tibet festgenommen worden, denn er und andere ehemalige politische Gefangene hätten die Feierlichkeiten ja stören können. Es heißt, daß die Chinesen ihm damals sogar mit Hinrichtung drohten.

Die Urteile über Sholpa und seinen Freund Topgyal wurden am 8. August 1996 verhängt. Allerdings wurde Sholpa darin nicht mit der Panchen Lama Affaire in Zusammenhang gebracht: "Gründliche Untersuchung ergab, daß der Angeklagte im Jahr 1993/4 Dhondup Dorje und Ratoe Dawa bat, eine Liste aller jetzigen und ehemaligen politischen Gefangenen zusammenzustellen. Darüber hinaus fertigte der Angeklagte Topgyal im Juli 1993 drei reaktionäre Dokumente an, die er Sholpa Dawa gab. Dieser wiederum händigte sie der Dalai Clique aus."

Topgyal leistet immer noch seine 6-jährige Haftstrafe im Drapchi Gefängnis ab. Sholpa wurde zu 9 Jahren Gefängnis mit 3 Jahren Entzug der politischen Rechte verurteilt. Wäre er nicht gestorben, so hätte er schließlich insgesamt 15 Jahre hinter Gittern verbracht.

Teil 2

Tragödie an der Nepal-Tibet-Grenze: Ein Tibeter bezahlt den Weg in die Freiheit mit dem Leben

Jedes Jahr trecken über 2000 Tibeter über das gefährliche Gelände des Himalaya, um der Unterdrückung der Grundfreiheiten in Tibet zu entgehen. Das TCHRD interviewte in den letzten Jahren viele solcher geflohener Tibeter.

Gonpo Tseten ist ein 16-jähriger junger Mann, der als Ackersmann und Straßenbauer in seinem Dorf der Gemeinde Karin, Kreis Shoha, Provinz Qinghai, arbeitete. Für kurze Zeit ging er zur Schule, mußte dann aber abbrechen, weil seine Eltern die hohen Gebühren nicht mehr aufbringen konnten.

Gonpo Tseten verließ am 5. September sein Heimatdorf in Richtung Lhasa. Von dort aus brach er am 13. September in einer Gruppe von 24 Personen über Shigatse nach Lhatse auf, von wo aus sie zu Fuß bis zur Grenze gingen. Unterhalb eines schneebedeckten Berges setzte sie der tibetische guide, der von jedem Teilnehmer 1200 Yuan eingesteckt hatte, stehen und erklärte, auf der anderen Seite des Berges sei dann Nepal. So mußte die Gruppe alleine weiterziehen, bis sie schließlich in Jiri von der nepalesischen Polizei festgenommen wurde. Zwei Tage und eine Nacht wurden die Flüchtigen in ein Haus eingeschlossen. Den meisten gelang es zu entkommen, aber Gonpo und ein weiterer Flüchtling hinkten wegen Erfrierungen an den Füßen hinterher. Die übrigen wurden von der Polizei gefaßt und schwer geschlagen. Sie versuchten erneut zu entfliehen und baten den Fahrer eines großen LKWs, sie nach Kathmandu zu bringen, aber dieser steuerte statt dessen die nächste Polizeistation an. Die Flüchtigen sprangen aus dem Fahrzeug und rannten weg mit der nepalesischen Polizei hinter ihnen her, die sie schließlich ein holte und Tränengas auf sie warf. Nun rannten sie aus Furcht, erschossen zu werden, wild durcheinander, und die Gruppe zerfiel in zwei Teile. Die langsameren und verletzten blieben zurück. Aus Verzweiflung begannen die schutzlosen Tibeter, Steine auf die Polizisten zu werfen, die als Antwort einige Runden scharfer Schüsse abgaben. Kunchok Gyatso wurde getroffen und sein Kiefer von einer Kugel durchschossen. Mehrere andere erlitten ebenfalls Verletzungen, darunter Tsewang Rinzin (20) und Daboshon Gyal (20).

Gonpo Tseten befand sich unter den Zurückgebliebenen. Er erzählte, die Polizei hätte seine Gruppe brutal mit Schlagstöcken und Gewehrenden verhauen. Sieben Personen trugen Verletzungen davon. Kunchok Gyatso wurde schnellstens ins Kathmandu Lehrhospital gebracht, während die anderen in das Militärhospital kamen. Später wurden sie auf Einschreiten des Tibetan Reception Centre in das Kathmandu Hospital verlegt. Später erfuhr man, daß Kunchok Gyatso seinen Verletzungen erlegen war.

Teil 3

Tibetischer Bauer von Steuern und anderen Abgaben niedergedrückt

Nicht nur sehen sich die Bauern in dem Dorf Shopa Tho, Kreis Lhoron, Provinz Chamdo, von deftigen Steuern bedrückt, sie müssen auch noch eine Reihe anderer Abgaben leisten und die Schulgebühren für ihre Kinder aufbringen. Meistens kommen sie deshalb nicht über die Runden.

Der 29-jährige Landmann Lobsang Choephel aus eben diesem Dorf ist ein einschlägiger Fall. Seine 4-köpfige Familie hat zu ihrem Unterhalt nur einen kleinen Acker von 8 mu (1 mu entspricht 67 qm), auf dem sie Weizen und Gerste anbaut. Das daraus gewonnene Einkommen reicht nicht, um die Familie zu ernähren und die Kinder zur Schule zu schicken. Der jährliche Ernteertrag beträgt etwa 2000 gyama (1 gyama entspricht 500 g). Sie veräußern einen Teil der Ernte, um die notwendigsten Artikel einkaufen zu können.

Lobsangs ältere Tochter Namgyal Choetso geht in die Volksschule von Shopa Tho. Obwohl die Lehrer dort von der Gemeinde entlohnt werden, müssen die Eltern der Schulkinder noch jährlich 300 gyama Getreide und 15 Yuan beisteuern. Auch wurde auf Kosten und durch den Arbeitseinsatz der Bauern selbst ein neues Klassenzimmer für die Schule erbaut. Die Eltern müssen zusätzlich 18 gyama Butter für den Verbrauch der Lehrer liefern. Es wird außerdem erwartet, daß jeder Dorfbewohner 200 gyama Brennholz abliefert.

Selbst nach Abschluß der Schule haben die Jugendlichen kaum eine Chance, einen anständigen Job zu bekommen. Bestechung grassiert überall und ist bei den chinesischen Beamten gang und gäbe, was weiterhin die wenigen der Dorfjugend offen bleibenden Möglichkeiten reduziert. So meinte Lobsang: "Man erlebt häufig, daß Stellen auf Schmieren der zuständigen Behörden vergeben werden. Die Jobs werden nicht nach Qualifikation oder Erfolg in den Prüfungen vergeben, sondern eher auf der Basis persönlicher Beziehungen".

Teil 4

Das TCHRD veröffentlicht einen neuen Report über Rassismus

Das Tibetan Centre for Human Rights and Democracy brachte im Hinblick auf die 2001 bevorstehende Weltkonferenz über Rassismus einen neuen Report mit dem Titel "Racial Discrimination" in Tibet heraus. Diese Abhandlung untersucht systematisch die in den Bereichen der Beschäftigung, Gesundheit, Wohnung, Bildung und politischen Vertretung geübten Methoden auf anti-tibetische Rassenvorurteile.

Der Bericht stellt fest, daß die VR China fast jeden Lebensbereich in Tibet mit alten Rassenvorurteilen und hierarchischen Prinzipien durchdrungen hat, um ihrem Hauptzweck, der "Uniformität des Mutterlandes" zu dienen. Mit der rhetorischen Floskel von der "Han Überlegenheit" versucht China, den tibetischen Widerstand durch abfällige Propaganda, wirtschaftlichen Druck und allein schon durch die Übermacht der großen Zahl zu verwischen.

Der Bericht beschreibt, wie die massiv zugewanderte chinesische Bevölkerung es den Tibetern inzwischen rein demographisch gesehen unmöglich gemacht hat, auf gleicher Basis am Gemeinschaftsleben teilzuhaben. "Systematische Diskriminierung in den Bereichen von Beschäftigung, Gesundheit, Bildung und politischer Repräsentation schränken weiterhin die Möglichkeit der Tibeter ein, an der Entwicklung ihres eigenen Landes teilzuhaben und schädigen ihren Status in der Gesellschaft bis zu dem Grad, daß sie allein schon aufgrund ihrer Rasse als Bürger zweiter Klasse angesehen werden", erläuterte Lobsang Nyandak, Leitender Direktor des TCHRD.

Der Beschäftigungssektor wird zunehmend wettbewerbsorientierter, wobei immer und überall den chinesischen Arbeitnehmern der Vorzug gegeben wird. Vorgefaßte einseitige Bestimmungen hinsichtlich der Vergabe von Geschäftslizenzen, illegale Praktiken wie Raubkopien und Preis-Unterbietung, unterschiedliche Besoldungspraxis und unbezahlte Zwangsarbeit reflektieren alle die anti-tibetischen Gefühle bei den Chinesen.

Diskriminierung ist auch in der Sphäre der Gesundheitsfürsorge offensichtlich. Unterschiedliche Honorare und übermäßig hohe Kautionen bei Krankenhausaufnahme, Verweigerung von Behandlung, absichtlich abgegebene falsche oder abgelaufene Medikamente, Zwangssterilisierung und Abtreibung sind eine normale Erscheinung.

Der Bericht erklärt, wie sich die staatlichen Ausgaben im Erziehungssystem in diskriminierender Weise auf die Entwicklung von Schulen in Gebieten mit einem hohen Anteil an chinesischer Bevölkerung konzentrieren. Und dann gibt es die eklatant hohen Gebühren und verschiedenen anderen Ausgaben, die jedoch nicht für chinesische Schüler gelten, und die ungerechten Examina, in denen Tibeter höhere Noten als Chinesen erzielen müssen. Dazu müssen die Prüfungen häufig noch durch Schmiergelder aufgebessert werden.

Wegen der chinesischen Politik des Bevölkerungstransfer sehen sich Tibeter auch im Wohnungssektor diskriminiert. Wohnungen werden unmittelbar den neuen chinesischen Ankömmlingen zugewiesen, weswegen ganze tibetische Wohnviertel geräumt werden mußten: Der Abriß von Wohnhäusern ist allgemein verbreitet. Tibeter werden in schäbigere Unterkünfte umgesiedelt und werden wegen des restriktiven chinesischen Haushaltsregistrierungssystems auch gezwungen, darin wohnen zu bleiben. Dabei sind die staatlichen Beihilfen für den Aufbau der Grundversorgung wie fließendes Wasser, elektrischen Strom und sanitäre Einrichtungen ausschließlich auf chinesische Wohngebiete beschränkt, so daß die tibetischen Gemeinwesen auf sich selbst gestellt sind.

Chinas Kontrolle und Manipulation der öffentlichen Verwaltung in Tibet ist vielleicht einer der wichtigsten Faktoren, die in dem Bericht diskutiert werden. Vereinzelte Tibeter in dem System sind nichts als pro forma Vertreter ohne reale oder effektive Entscheidungsvollmacht, die durch Scheinwahlen gewählt wurden. Die Loyalität der Tibeter an der Basis wird durch die Einführung der Selbstverwaltung der Dörfer und der Nachbarschaftskomitees kleinlich überwacht. Die Tibeter, denen es an realen Kanälen fehlt, sich zu beschweren, sind ohnmächtig, etwas gegen die in allen Sektoren der Gesellschaft gegen sie verübte Diskriminierung zu unternehmen.

Teil 5

Ein tibetischer Student wegen Anbringens von Freiheitsliedern verhaftet

Phuntsok Wangchuk ist ein 27-jähriger Student aus der Präfektur Lhoka, Kreis Chongyal, Gemeinde Perab. Sechs Jahre lang ging er in Perab zur Gemeindeschule und danach kam er 1990 auf die Mittelschule von Lhoka, die damals etwa 900 Schüler umfaßte. Diese kamen zumeist aus nomadischem und landwirtschaftlichem Milieu, aber auch einige chinesische Beamte schickten ihre Kinder auf diese Schule. Die dort unterrichteten Fächer waren Chinesisch, Tibetisch, Englisch, Mathe, Geschichte, Geographie, Naturwissenschaften. Chinesisch war das Unterrichtsmedium. Phuntsok wurde nach vier Jahren Besuch dieser Schule und kurz vor seinem Abschlußexamen verhaftet.

Zum ersten Mal hörten die Schüler Freiheitslieder auf die Demonstration von 1987 in Lhasa hin. Einige gingen sogar so weit, die Worte "Free Tibet" an die Wände zu kritzeln. Als dann Lehrer von der Tibet Universität kamen und Tibetisch lehrten, gewann diese Sprache an Bedeutung, und das Schreiben von Aufsätzen auf Tibetisch wurde beliebt. Phuntsok war wegen seiner religiösen Haltung sehr geschätzt in der Schule. Mit Hilfe von Freunden konnte er Kassetten mit Reden des Dalai Lama ergattern, die er insgeheim anhörte. Sie versorgten ihn auch mit Nachrichten über die Freiheitsbewegung und über Proteste in Lhasa. In ihrer Freizeit am Mittwoch und Samstag kamen die Schüler zusammen und tauschten diesbezügliche Gedanken aus.

Vier außerordentliche Klassen, in denen alle Fächer auf Tibetisch unterrichtet wurden, wurden in Lhasa, Shigatse, Lhoka und Nagchu eingeführt,. Phuntsok kannte alle Schüler der Sonderklasse der Lhoka Mittelschule No. 2. Ein Schüler dieser Klasse namens Sherab Yeshi (verstorben) erhielt Erlaubnis, einen Schulradiosender zu betreiben. Anfänglich waren die Ankündigungen wie auch die Lieder auf Chinesisch, aber bald verwendete Sherab beide Sprachen und spielte auch tibetische Lieder. Da die Schüler nun für die Radiosendungen einen Kassettenrecorder zu ihrer Verfügung hatten, kamen sie insgeheim zusammen und hörten die verbotenen Dalai Lama Kassetten an. Auf Schülerinitiative wurde eine tibetische Wochenzeitschrift mit Namen "Sham Chu Se" (Fließender Fluß) gestartet. Direkte und verschleierte Beiträge über tibetische Freiheit begannen darin zu erscheinen. Als die Schulleitung merkte, daß ihr die Zeitschrift entglitt, verbot sie sie Ende 1994. Aber damals gab es keine Verhaftungen.

Anfang Mai 1994 schrieb Phuntsok "Free Tibet" auf die Klassentafel. Er wurde erwischt und in das Schulbüro zitiert. Es gab eine strenge Verwarnung für ihn, solche Akte nicht zu wiederholen, aber er kam ohne Strafe oder Geldbuße davon. Im Juni 1994 begann er dann heimlich mit der Hilfe von Schulfreunden, Flugblätter mit "Free Tibet" sowie 300 Blätter mit Liedern zu drucken. Verteilt wurden sie in den Orten Nyitho, Tsetho und in der Mittelschule von Tsethang, dem Bildungszentrum Tsethang und der Tsethang Brücke. Auch die Nonnen des Klosters Tsethang bekamen solche Blätter. Vom 4. bis zum 15. Juni verteilte Phuntsok die Blätter zusammen mit seinen Schulkameraden Dawa Phuntsok und Lobsang Penpa.

Auf diesen Blättern standen Auszüge der Lieder des Musikers Ngawang Choephel (jetzt in Tibet inhaftiert): "... in meinem Traum letzte Nacht weilte ich in Tibet". Phuntsok brachte diese Lyriken nebst einem Zitat aus einer Dalai Lama Rede an dem Anschlagbrett der Schule an: "Für China und Tibet galt nur die Patron-Priester-Beziehung und keine der Herrschaftsbeziehung". Auf seinen Flugblättern stand auch: "Tibet wird bald Freiheit gewinnen und Tibeter müssen geeint sein". Als die Schüler von ihrem täglichen Morgensport zurückkehrten, sahen alle diese Blätter und fingen an, das Lied laut zu singen. Sofort gab die Schulleitung Befehl, nachzuforschen, wer das Blatt geschrieben hatte, aber die Handschrift konnte keinem der Schüler zugeordnet werden.

Am 12/13. Juni 1994 landete ein Schüler dieser Schule im Gefängnis, weil er einen anderen erstochen hatte. Die Polizei fragte den verhafteten Schüler wegen der Freiheitslieder, die an dem Schulbrett erschienen waren. Wenn erwiesen würde, wer für die Anbringung der Freiheitslieder verantwortlich gewesen sei, dann käme er mit einem nachsichtigen Urteil davon, wurde ihm in Aussicht gestellt.

Am 15. Juni nachmittags brachen 7 Polizisten aus der Polizeistation Zitha in Phuntsoks Zimmer ein und nahmen ihn fest. Gleichzeitig fuhren zwei Polizisten in Zivil, die vorgaben seine Lehrer zu sein, zu seinem Dorf, um ihn zu vernehmen. Weil seine Eltern Verdacht hegten, es könne sich um verkappte Polizisten handeln, sagten sie, ihr Sohn sei mental gestört. Sogar seine Lehrer und Mitschüler machten Aussagen in diesem Sinne.

Anfänglich gab Phuntsok bei der Vernehmung kein Geständnis ab. Als ein junger Polizist ihm jedoch nahelegte, seine Tat zu bekennen, weil er von einem Schulfreund verraten worden wäre, hatte er keine andere Wahl mehr. In seinem Geständnis sagte er kategorisch, daß niemand sonst beteiligt gewesen sei. Wegen der Angabe seiner Eltern hinsichtlich seines mentalen Zustandes kam er nur für 6 Monate in das Zitha Haftzentrum. Als seine Klassenkameraden ihn besuchten, gab er ihnen jedoch einen Aufsatz mit politischen Äußerungen, der unglücklicherweise von den Aufsehern abgefangen wurde. So verurteilte ihn am 20. September 1994 das Mittlere Volksgericht von Lhoka wegen konterrevolutionärer Aktivitäten zu 5 Jahren Gefängnis. Er hatte 7 Tage Frist, um Berufung einzulegen. Zuerst wurde er 6 Monate der "Reform durch Arbeit" unterzogen. Dabei mußte er Holz von Lastwagen abladen, auf dem Bau arbeiten und Abfall beseitigen. Am 14. Dezember 1994 wurde er dann in das Drapchi Gefängnis in die Einheit No. 5 verlegt.

1998 wurde den Gefangenen, wie jedes Jahr, geboten, ein Formblatt auszufüllen, in dem sie versprechen mußten, ihr Benehmen zu bessern und ihr politisches Denken umzustellen. Der 18-jährige Samgyal Tenphel weigerte sich, dieses Formular auszufüllen, weshalb er mit Einzelhaft bestraft wurde. Die anderen Gefangenen begehrten auf. Bei diesem Protest wurden zwei politische Gefangen, Lobsang Wangchuk aus dem Kloster Gaden, Medro Gungkar, und Khedup aus Kreis Taktse, zu Tode geschlagen. Ngawang Solong wurde durch einen Schuß verletzt und Sonam Tenzin (25) beging Selbstmord durch Erhängen.

Teil 6

Weitere Einzelheiten zu den Gefängnisprotesten in Drapchi vom Mai 1998

Am 1. Mai 1998 (dem Internationalen Tag der Arbeit) fand in dem Gefängnis ein Flaggenappell vor der chinesischen Nationalflagge statt. 60 politische Gefangene der neuen Einheit No. 5 wurden gezwungen, unter der Fahne zu marschieren und sie zu salutieren. Um 9 Uhr wurden sie in Reih und Glied gestellt und angewiesen, Losungen wie "Eingedenk der eigenen Schuld", "Einhalten der Regeln", "Streben nach Selbstverbesserung" zu rufen. Plötzlich begannen zwei Gefangene der Einheit No. 6 "Free Tibet" zu rufen und gedruckte Blätter emporzuwerfen. Andere Gefangene fielen ein und verwandelten die Zeremonie in ein Chaos. Als Ergebnis wurden folgende Häftlinge der Einheit No. 6 bestraft:

1. Migmar (37), ein ehemaliger Mönch des Klosters Tashikang, Nyithang, sah sein Gefängnisurteil von 6 auf 10 Jahre verlängert.

2. Konto (24) aus dem Kloster Gaden wurde 1996 verhaftet und zu 4 Jahren verurteilt. Seine Strafe wurde um 1 Jahr verlängert.

3. Tenzin (26), ehemals Mönch aus Kreis Dranang, Lhoka, wurde 1994 verhaftet und zu 5 Jahren verurteilt. Seine Strafe wurde auf 9 Jahre erhöht.

4. Norbu Phuntsok (27), ein ehemaliger Mönch aus dem Kreis Phenpo Lhundup. sah sein ursprüngliches Urteil von 5 Jahren von 1995 auf 8 Jahre erhöht.

5. Kapasang (27), ein ehemaliger Mönch aus Kreis Phenpo Lhundup, wurde 1995 verhaftet. Sein Urteil wurde von 5 auf 8 Jahre erhöht.

6. Ngawang (30), ehemals Mönch aus Kloster Drepung, wurde 1991 festgenommen. Zu dem bereits 10 Jahre betragenden Urteil wurden noch 5 Jahre hinzugefügt.

Auch einige Gefangene des neuen Blockes No. 5 sahen ihr Hafturteil verlängert:

1. Lobsang Gelek (27, ehemals Mönch aus Kloster Khang Mar in Kreis Damshung, wurde 1995 festgenommen. Er bekam zusätzlich 5 Jahre, somit insgesamt 10 Jahre.

2. Lhasang (26), ein Mönch aus dem Kloster Gunsar, wurde 1995 festgenommen und zu 5 Jahren verurteilt, die nun auf 10 Jahre verlängert wurden.

3. Pasang (28), ehemals Mönch aus Kreis Phenpo Lhundup, wurde 1995 festgenommen und zu 6 Jahren verurteilt, die nun auf 10 Jahre verlängert wurden.

4. Yeshi Jinpa (27), ehemals Mönch aus Sungrabling in Kreis Gongkar, Lhoka, wurde 1993 festgenommen und zu 6 Jahren verurteilt. Nun wurde seine Strafe auf 11 Jahre erhöht.

5. Kalsang Phuntsok (23), ein Mönch aus dem Kloster Tashikang, Nyithang in dem Kreis Choe Shur wurde 1994 festgenommen und zu 6 Jahren verurteilt. Seine Strafe wurde auf 10 Jahre erhöht.

6. Khedup (32), ehemals Mönch von Kloster Gaden in Kreis Taktse, wurde im Dezember 1995 festgenommen und zu 5 Jahren verurteilt. Er wurde wegen seiner Beteiligung an dem Protest vom 1. Mai schwer geschlagen und in Einzelhaft gesteckt. Infolge der entsetzlichen Folterung starb er am 28. Oktober 1998.

7) Lobsang Choephel (25), ein Mönch des Klosters Khang Mar, erhängte sich im Badezimmer. Er hinterließ eine Notiz, auf der stand: "Ich begehe Selbstmord für die sechs Millionen Tibeter. Ich werde niemals die chinesische Flagge salutieren oder mich vor ihr verneigen. Meine Freunde, wir werden uns im nächsten Leben wieder treffen".

Am 4. Mai 1998 trugen Gefangene den toten Körper von Lobsang Choephel und riefen "Free Tibet". Als die Insassen der alten Einheit dies hörten, begannen sie zu demonstrieren und die Gefängnistore zu durchbrechen. Die Gefängniswachen schossen daraufhin auf die Häftlinge, wobei einer, Ngawang Sherab, verletzt wurde. Dann stürmten PAP Soldaten herein und bereiteten dem Protest ein Ende.

Am selben Abend um etwa 19 Uhr wurde Phuntsok vernommen, aber er bestritt, mit dem Vorfall etwas zu tun gehabt zu haben. Er mußte dann in einer Kruzifixstellung verharren, indem ein Holzblock auf seine Schultern gelegt wurde und seine Arme daran festgebunden wurden. Nun kam er in einen anderen Gefängnistrakt mit lauter geschlossenen Fenstern. Fünf oder sechs Wachen schlugen ihn erbarmungslos mit elektrischen Schlagstöcken und Eisenstangen. Als er bewußtlos umfiel, wurde kaltes Wasser über sein Gesicht gegossen. Sogar noch, als er in seine Zelle zurückgebracht wurde, ging die Peinigung weiter: Ein Elektroschockgerät wurde seinen Genitalien und seinem Mund angelegt. Sein Zustand wurde daraufhin so ernst, daß er eiligst in das Militärkrankenhaus gebracht werden mußte, wo er eineinhalb Monate lang behandelt wurde.

Am 1. Juli bekannte er, an dem Protest teilgenommen zu haben, und wurde wieder schwer geschlagen, sogar seinen Wunden wurden Elektroschocks verabreicht. Weil er die Qualen nicht mehr aushalten konnte, versuchte er am 23. Juli Selbstmord zu begehen, indem er vier Nadeln und Glassplitter verschluckte. Wieder kam er ins Krankenhaus und wurde operiert. Am 13. September wurde er entlassen.

Bei ähnlichen Vernehmungen wurde Lobsang Wangchuk (29), ein Mönch von Kloster Gaden, zu Tode geschlagen, und einem anderen Mönch, Ngawang Dorjee, wurde der Schädel mit einer Eisenstange zertrümmert.

Als Folge des Zwischenfalles vom 4. Mai wurde folgenden Gefangenen der alten Einheit das Hafturteil verlängert:

1. Ngawang Sungrab (32), ehemals ein Mönch aus Kloster Drepung, der 1991 verhaftet und zu 10 Jahren verurteilt wurde, bekam eine Verlängerung um 3½ Jahren.

2. Tsering Phuntsok (34), ein ehemaliger Mönch von Kloster Gaden, wurde 1992 verhaftet und zu 7 Jahren verurteilt. Seine Haftfrist wurde um 1½ Jahre verlängert.

3. Ngawang Lungtok (29), ein ehemaliger Mönch aus Kloster Gaden, wurde 1992 verhaftet und zu 6 Jahren verurteilt. Seine Haftfrist wurde ebenfalls um 1½ Jahre vermehrt.

4. Ngawang Dorje (27), ein Mönch von Kloster Gunsar in Kreis Phenpo Lhundup, der 1995 zu 3 Jahren verurteilt wurde, bekam weitere drei Jahre.

5. Sonam Tsering (31), ein Mönch des Klosters Katsel in Medro Gungkar, wurde 1996 verhaftet und zu 8 Jahren verurteilt, die nun um 2 Jahre verlängert wurden.

6. Bhungchu (29), ein 1995 verhafteter und zu 5 Jahren verurteilter Mönch, wurde mit 2 weiteren Jahren belegt.

7. Tsepal (23), ein Mönch aus Kloster Gunsar, der 1995 verhaftet und zu 15 Jahren verurteilt wurde, bekam eine 2½-jährige Verlängerung.

Phuntsok wurde am 16. Juni 1999 nach Ableistung seiner Haftstrafe von 5 Jahren entlassen.

Teil 7

Mönche gezwungen, eine schriftliche Kritik am Dalai Lama abzufassen

Die Klöster in Kreis Keney, TAR, werden von den Arbeitsteams gezwungen, schriftlich eine Kritik am Dalai Lama zu formulieren. Jamyang Gendun, ein 24-jähriger Mönch aus Kloster Tholey in dem Dorf Gonshong des Kreises Keney erlebte das Eindringen solch eines Arbeitsteams in sein Kloster. Während ihres 20 Tage währenden Daseins bedrohten die Kader jene Mönche mit Ausweisung, die innerhalb einer festgesetzten Frist nicht die geforderte schriftliche Kritik abgaben. 20 von den 70 Mönchen, welche sich weigerten, den Anordnungen zu folgen, wurden hinausgeworfen, wobei die Beamten für jeden eine persönliche Akte führten. Fortan dürfen sie weder das Kloster betreten, noch ihre Mönchsroben tragen. Jamyang ist einer der zwanzig, die sich nicht den Befehlen des Arbeitsteams fügten. Nach zwei Monaten zu Hause floh er nach Indien.

Teil 8

Portrait: Ngawang Dolma - eine Stimme hinter Gittern

Die 28-jährige Ngawang Dolma stammt aus dem Dorf Melong, Gemeinde Jangkhar, Kreis Phenpo Lhundup, Bezirk Lhasa. Sie ist die jüngste von vier Geschwistern und ihre Eltern leben von der Landwirtschaft. Von Kindesbeinen an half Ngawang im Haushalt mit, weshalb sie nie zur Schule gehen konnte.

1990 trat Ngawang in das Gyabdrag Kloster ein, das damals 60 Nonnen im Alter von 18-23 Jahren beherbergte. Dieses Kloster wurde während der Kulturrevolution völlig zerstört. Ngawang war an dem Wiederaufbau beteiligt, für den sie auch Spenden sammelte.

Im Februar 1995 plante Ngawang zusammen mit 14 anderen Nonnen einen Protest in Lhasa. Sie brachen am 12. Februar auf und am folgenden Tag morgens rannten sie auf die Straßen vor dem Jokhang Tempel und riefen "Tibet ist frei", "Tibet gehört den Tibetern" und "Chinesen geht nach Hause". Innerhalb weniger Minuten wurden sie von Kräften des Public Security Bureau (PSB) festgenommen. Als sie sich zu wehren versuchten, wurden sie geschlagen und in einem Polizeiwagen in das PSB Haftzentrum von Lhasa (Gutsa) gebracht.

Nach ihrer Ankunft dort wurden sie intensiv vernommen. Alle Nonnen wurden mit Schlägen traktiert, weil sie widersprüchliche Aussagen machten und nicht in der erwünschten Weise antworteten. Mehrere Monate blieben sie dort eingesperrt, aber weder ihr Kloster noch ihre Angehörigen wurden über ihren Verbleib informiert.

Im Juni 1995 wurden sie vor das Mittlere Volksgericht von Lhasa gestellt. Ngawang Dolma und drei weitere Nonnen galten als die Hauptanzettler des Protestes und wurden zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt. Vier andere Nonnen bekamen 6 Jahre und die übrigen 5 Jahre Haft.

Am 30. Juli wurden sie dann in das Drapchi Gefängnis verlegt, wo damals gerade der neue Frauenblock No. 3 fertig geworden war. Sie waren die ersten Insassen dieser Einheit. Um ihren Widerstand zu brechen, wurden sie vom ersten Tag an gepeinigt. Einen Monat lang mußten sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zum Essen in der Sonne stehen mit nur kurzen Unterbrechungen. Danach wurden fast 4 Monate lang tägliche Gewaltmärsche von ihnen gefordert. Bei diesen steckte Ngawang eine Menge Prügel ein, weil sie den Befehlen nicht folgen konnte und wegen ihres Körperbaus Schwierigkeiten hatte, mitzukommen.

1997 wurde anläßlich des Tibetischen Neujahrfestes eine kleine Feier erlaubt. Ngawang und ihre Freundinnen sangen sogleich ein Freiheitslied. Kaum verstummten sie, da waren sie auch schon von Kräften der People's Armed Police (PAP) umgeben. Sie wurden grausam geschlagen und in Einzelhaftzellen verfrachtet.

Ngawang war auch an den Protesten vom Mai 1998 beteiligt, weshalb sie schlimme Mißhandlungen erlitt. Sie hat nun ein Nierenleiden und Magengeschwüre. Sie wird in der Gefängniskrankenstation behandelt, aber darf keine medizinische Hilfe außerhalb suchen.

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