26. September 2008
Phayul

Von Jamyang Norbu
http://www.jamyangnorbu.com/

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Ein Toast auf die Olympischen Spiele mit vergifteter Milch - Abschlußfeier in Peking mit Lügen

Der Autor
Gereinigte Nationalhymne

Ein tibetischer Freund aus der Schweiz erzählte mir folgendes: Als er sich im deutschen Fernsehen (ZDF) die Abschlußfeier der Olympischen Spiele ansah, fiel ihm auf, daß der Text der Nationalhymne nicht so recht zu der Übersetzung zu passen schien, die auf der riesigen Projektionsfläche erschien. Ein Stück davon lautete: „Laßt uns für Freiheit, Frieden in der Welt und Demokratie kämpfen“. Mein Freund fragte mich, ob diese erhabenen Ideale tatsächlich in der chinesischen Nationalhymne vorkämen. Ich konnte ihm versichern, daß dem definitiv nicht so sei. Vor ein paar Jahren habe ich einen Essay und noch einen Nachtrag über die tibetische Nationalhymne (und die tibetische Nationalflagge) geschrieben und dabei unsere alte elegische Hymne „Schneewall“ (Gangri Rawae) der chinesisch-kommunistischen, „Der Marsch der Freiwilligen“ (Yiyongjun Jinxingqu) genannten, gegenübergestellt. Diese ist nichts als ein unerbittlicher Lobgesang auf Xenophobie und Gewalt mit dem Motto „Wir-gegen-den-Rest-der-Welt“.

Hier ist der Wortlaut der chinesischen Nationalhymne [Übersetzung von Wikipedia]:

Steht auf! Alle, die keine Sklaven mehr sein möchten!
Laßt uns aus unserem Fleisch und Blut die neue Mauer bauen.
In größter Bedrängnis Chinas Volk.
Der Unterdrückten letzter Schrei ertönt:
Steht auf! Erhebt Euch!
Gemeinsam wider das feindliche Kanonenfeuer, voran!
Gemeinsam wider das feindliche Kanonenfeuer, voran!
Vorwärts! Vorwärts! Voran!

Kein Wörtchen von Freiheit und Demokratie kommt darin vor, ebenso wenig von Wahrhaftigkeit. Tsewang Norbu aus Deutschland bestätigte das, was mein Freund mir erzählt hatte, und fügte hinzu, auch einige deutsche Journalisten hätten die Diskrepanz zwischen dem gesungenen und geschriebenen Text bemerkt, als man sie mit der der Übersetzung in gedruckter Form versorgte. Zudem leitete er mir einen ZDF-Bericht weiter, über den sich Leser mit Deutsch-Kenntnissen vielleicht noch genauer informieren möchten.

Unterstützung für Behinderte während der Paralympischen Spiele ausgesetzt

In Peking begannen am 6. September die Paralympics und die meisten Medien bezeichnen sie als großen Erfolg. In einem Artikel in der South China Morning Post wird jedoch über eine bizarre Regelung für die Dauer dieses Ereignisses berichtet. Alle ausländischen Freiwilligen, Ärzte und Physiotherapeuten, die bei der Betreuung von behinderten Waisen in China assistierten, wurden angewiesen, ihre täglichen Visiten in drei staatlichen Einrichtungen in Peking und Umgebung einzustellen.

Zu den Betroffenen gehörte auch eine Wohltätigkeitsorganisation aus Hongkong, die erklärte, Vertreter des Public Security Bureau (PSB) hätten sie aufgesucht und entsprechende Anweisungen erteilt. Die Waisenhäuser sind auf die ausländischen freiwilligen Helfer bei der Pflege der behinderten Kinder dringend angewiesen, denn sie verfügen nur über wenig Vollzeitpersonal. Die Hilfeleistungen der Freiwilligen betrafen Rehabilitation, Krankengymnastik und allgemeine Pflege, sie cremten Babies und Kleinkinder ein, damit sie von den Windeln nicht wund werden und setzten Schlaf-, Spiel- und Badezimmer in Stand. Ohne diese freiwilligen und professionellen Leistungen hat sich die Lage der Kinder verschlechtert und sie leiden nun noch mehr.

Für die Dauer der Spiele wurden sogar die von den Wohltätigkeitsorganisationen finanzierten Operationen eingestellt, die zur Schmerzlinderung beitragen oder Mißbildungen korrigieren sollten.

Einer der freiwilligen Helfer, der über vier Jahre lang das 40 km außerhalb von Peking gelegene Langfang-Waisenhaus in der Provinz Hebei, in dem 25 behinderte Kinder untergebracht sind, aufzusuchen pflegte, sagte: „Kurz vor Beginn der Spiele hat man uns den Besuch der Waisenhäuser verboten“. Er meinte, dieses Verbot sei typisch für eine Gesellschaft, für die Behinderungen immer noch als etwas gelten, für das man sich schämen muß. „Für die Regierung sind Behinderte im allgemeinen und erst recht behinderte Waisen ein peinliches Problem, mit dem sie nicht umzugehen weiß.“

Millionen Chinesen ohne Wasser wegen der Spiele

In einem aktuellen Bericht von Michael Sheridan von der Times (London) heißt es, daß Millionen Chinesen, insbesondere Bauern, darunter zu leiden hatten, daß ihnen wegen der Spiele der Zugang zum Wasser verwehrt wurde. Die Behörden in Peking hatten mit mindestens 500.000 Besuchern gerechnet und ein gigantisches Projekt gestartet, um das Wasser des Yangtse in einem „Einhundert-Tage-Kampf“ in die Hauptstadt umzuleiten. Dazu sollten Kanäle und Rohrleitungen von nahezu 200 Meilen angelegt werden.

Ferner ließen sie vier strategisch wichtige Reservoirs in der nahe Peking gelegenen Provinz Hebei bis zum Rand mit allem in der Region vorhandenen Wasser füllen. Vermutlich wurde es grundwasserführenden Schichten entnommen, die sich wieder auffüllen sollten, wenn das Yangtse Wasser nordwärts fließt. Aber dann trockneten die Bewässerungskanäle aus, der Grundwasserspiegel fiel, Brunnen kollabierten, Felder mußten aufgelassen werden und die Menschen sahen sich zum Verlassen ihrer Höfe und Dörfer gezwungen. Eine Quelle berichtete über Preissteigerungen für Wasser von 300%. Die Bauern konnten nichts mehr anbauen. „Früher gruben wir die Brunnen ein oder zwei Meter tief und hatten Wasser. Jetzt graben wir zehn Meter tief und bekommen keinen Tropfen“, klagte ein Bauer.

Als der Aufstand in Tibet während des Olympischen Fackellaufs zu weltweiten Protesten führte und zum Boykott der Spiele aufgerufen wurde, bekamen die Behörden vermutlich nasse Füße und fürchteten, daß weit weniger Besucher nach Peking kommen könnten als erwartet. Deshalb ließ die Regierung ihren ehrgeizigen Plan fallen, und in der einst landwirtschaftlich wohlhabenden Gegend von Hebei blieben viele Meilen von halbfertigen Kanälen und ausgetrockneten Wasserreservoirs zurück. Viele Bauern mußten sich hoch verschuldeten, andere begingen Selbstmord, indem sie Pestizide schluckten.

Statt diesen unglücklichen und veramten Bauern in ihrem Elend zu helfen, griffen die Behörden zur Repression. Bei einem Besuch in Baoding bemerkte der Autor von „Empire of Lies“ Sheridon, daß die Behörden außergewöhnlich viele Polizei- und paramilitärische Kräfte in der Gegend stationiert hatten. Er schreibt: „ Auf einer Straße, die zu einem Wasserreservoir führte, wurden unsere Wagen zehnmal von bewaffneten Polizisten kontrolliert. An jedem Haltepunkt war ein Transparent mit der Aufschrift ’Olympischer Sicherheitskontrollpunkt‚ angebracht, obwohl die Spiele in über 100 Meilen Entfernung stattfanden. Auf Plakaten wurde eine Belohung von umgerechnet mehr als 7.000 britischen Pfund für Personen in Aussicht gestellt, die dem PSB „spezielle die Spiele betreffende Informationen“ lieferten.

Sheridon schließt daraus: „Der Wasserskandal ist eine Metapher für das, was passieren kann, wenn ein hohe Anforderungen stellendes Ereignis von globaler Bedeutung wie es die Olympiade ist von einer armen, bäuerlichen und von Diktatoren regierten Nation ausgerichtet wird; die Ironie dabei ist, daß am Ende nichts von all dem wirklich nötig war.“

Wie man mit vergifteter Milch auf die Spiele anstößt

Die Zahl der durch das kontaminierte Milchpulver erkrankten Kinder ist mittlerweile auf 60.000 gestiegen, und es scheint, daß auch viele Kinder in Lhasa und überhaupt in ganz Tibet davon betroffen sind. Die chinesischen Behörden wußten, wie es heißt, bereits Anfang August von dem kontaminierten Milchpulver und haben dennoch zugelassen, daß sich Kinder weiterhin damit vergifteten, weil sie negative Schlagzeilen während der Olympischen Spiele vermeiden wollten. Der Bericht von Phoenix-TV schöpfte aus dwnews.com und wurde von China Digital Times übersetzt.

Um den chinesischen Autor Qin Geng zu zitieren: „Der Skandal wurde am 2. August offenbar, aber sie hielten bis zum 1. September den Deckel drauf. Einen ganzen Monat lang wurde die Sache vertuscht, was zeigt, daß ihnen im großen und ganzen klar war, was passiert war und daß sie eben das taten, was ihre obersten Chefs von ihnen erwarteten. Der Gesamteindruck, der sich daraus ergibt, ist, daß die Interessen des Einparteienregimes alles andere überragen, und nicht die Sicherheit der Menschen an erster Stelle steht, wie es eigentlich sein sollte. Damit ja kein Schatten auf die Olympischen Spiele fällt, lassen die Behörden lieber Tausende von Säuglingen vergiftete Milch trinken und knebeln die Medien, damit sie nichts darüber berichten.“

Qin Geng schloß mit der Feststellung, daß die chinesische Öffentlichkeit deshalb sehr betrübt, sehr besorgt und sehr zornig sei, denn in den staatlich kontrollierten Medien wurde offenbar berichtet, bei der Kontaminierung handele es sich um einen gezielten und genau geplanten Prozeß. „Sie behaupteten, Milchprodukte für den Export seien nicht von diesem Problem betroffen, speziell für die Spiele hergestellte Milchprodukte und nach dem 14. August hergestellte Produkte seien nicht betroffen. Das soll heißen, die Zugabe von Melamin war also ein kontrollierter Prozeß mit bestimmten Regeln und Standards.“

Während die normalen Leute sich mit diesem jüngsten Skandal von verunreinigten Nahrungsmitteln herumschlagen, läßt sich die politische Elite exquisite und naturbelassene Delikatessen servieren. Sie bekommt hormonfreies Rindfleisch aus den Steppen der Inneren Mongolei, biologisch angebauten Tee aus den Ausläufern des tibetischen Hochlandes und Reis, der auf dem Schmelzwasser aus den Bergen gedeiht. Lesen Sie selbst diesen empörenden Bericht in Economic Times.

Zum Abschluß: Alle, die Ihr dafür wart, daß China die Olympischen Spiele bekommt und es dabei tatkräftig unterstützt habt, erhebt nun Eure (riesengroßen) Gläser vergifteter Milch, sprecht ein kräftiges „Gan Bei!“ und kippt sie bis zum letzten Tropfen hinunter!