30. Juni 2004
Zur Tibet-Politik der Bundesregierung
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Harald Leibrecht und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP - BT-Drg.Nr 15/3534

Vorbemerkung der Fragesteller zur Tibet-Politik der Bundesregierung

Tibet war bis zur Invasion der chinesischen Kommunisten 1949 ein unabhängiger Staat, dessen Bevölkerung auch heute noch ethnisch, geschichtlich, kulturell und sprachlich ein homogenes Volk bildet. Gegen die Besatzung wurde 1959 im Rahmen eines Volksaufstandes in Lhasa protestiert. Dieser wurde brutal durch das chinesische Militär niedergeschlagen, der Dalai Lama und 80 000 weitere Tibeter flohen ins Exil nach Indien. Sie bildeten dort eine auf demokratischen Grundlagen basierende Exilregierung, welche sich als legitime Regierung und wahre Vertretung der tibetischen Bevölkerung versteht. Deutschland erkennt diese Exilregierung aufgrund seiner Ein-China-Politik nicht an. Die Bundesregierung empfängt das politische und religiöse Oberhaupt der tibetischen Exilregierung, den Dalai Lama, nicht auf politischer Ebene, sondern lediglich als religiöses Oberhaupt des tibetischen Buddhismus. Es wird auf jeden außenpolitischen Druck, der die Haltung Chinas gegenüber Tibet verärgern könnte, verzichtet und nur eine religiöse und kulturelle Autonomie Tibets befürwortet.

Dabei drohen allerdings die den Tibetern von China aufgezwungenen Lebensbedingungen und die massiven Menschenrechtsverletzungen in Vergessenheit zu geraten. China schränkt die individuelle und vor allem religiöse Freiheit der Tibeter stark ein. Es verhängt Gefängnis- oder Arbeitsstrafen für politisch Andersdenkende, und es hält diese in Lagern jahrelang gefangen. Auch wird immer wieder von Folter, Exekutionen und über Repressalien berichtet. Schon eine Sympathiebekundung zum Dalai Lama durch Aufhängen seines Porträts zog Haftstrafen sowie Landenteignungen nach sich. Durch die Entführung des als Panchen Lama ausgerufenen Gedhun Choekyi Nyima wird von China versucht, die kulturelle Kontrolle über das tibetische Volk zu erlangen. Weiterhin dezimiert die chinesische Regierung durch Umsiedlungsmaßnahmen und strenge Geburtenkontrolle die Zahl der Tibeter, die schon heute im eigenen Land zur Minderheit geworden sind. Der Dalai Lama bezeichnet diese Entwicklung als "kulturellen Genozid". Durch den politisch motivierten Bau der Eisenbahn zwischen Gormo (Provinz Qinghai) und Lhasa (Autonome Region Tibet - TAR)) wird diese Entwicklung noch verstärkt, da er einen starken wachsenden Zustrom chinesischer Einwanderer mit sich bringen wird. Zu all diesen Vorgängen schweigt die Bundesregierung gegenüber der chinesischen Regierung.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie steht die Bundesregierung grundsätzlich zu den tibetischen Autonomiebestrebungen?

Die Bundesregierung betrachtet in Übereinstimmung mit der gesamten Staatengemeinschaft Tibet als Teil des chinesischen Staatsverbandes. Tibet kann sich mit guten Gründen auf traditionelle, historisch belegbare Autonomierechte berufen. Die Bundesregierung unterstützt den tibetischen Anspruch auf Autonomie, insbesondere im kulturellen und religiösen Bereich, als adäquaten Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des tibetischen Volkes. Ein Recht Tibets auf Lösung aus dem chinesischen Staatsverband wird in Übereinstimmung mit der Rechtsüberzeugung der Staatengemeinschaft damit nicht anerkannt.

2. Wie bewertet die Bundesregierung die schon 1989 vertretene Erkenntnis eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, wonach der Status Tibets ungeklärt sei und China keinen legalen Anspruch auf das Territorium von Tibet erworben habe?

In Übereinstimmung mit der gesamten Staatengemeinschaft betrachtet die Bundesregierung Tibet als Teil des chinesischen Staatsverbandes. Die Bundesregierung hat ihre Position zur Tibet-Frage ausführlich während der nicht öffentlichen Anhörung des Deutschen Bundestages zu Tibet während der 13. Wahlperiode am 19. Juni 1995 dargestellt. Dort hat sie zum völkerrechtlichen Status Tibets nach eingehender völkerrechtlicher Prüfung folgende Auffassung vertreten: Selbst wenn Tibet in der wechselvollen Geschichte vorübergehend die Voraussetzung eines unabhängigen Staates erfüllt haben sollte - dies ist aus völkerrechtlicher Sicht weder eindeutig zu belegen noch zu widerlegen - bleibt festzuhalten, daß Tibet auch zu diesem Zeitpunkt die völkerrechtliche Anerkennung als Staat durch die Staatengemeinschaft versagt blieb. Diese Position der Bundesregierung gilt unverändert weiter.

3. Wie beschreibt die Bundesregierung ihr Verhältnis zur offiziellen Vertretung Tibets?

Wie in der Antwort zu Frage 1 angeführt, betrachtet die Bundesregierung in Übereinstimmung mit der gesamten Staatengemeinschaft Tibet als Teil des chinesischen Staatsverbandes. Die so genannte Exilregierung Tibets in Dharamsala (Indien) wird daher von der Bundesregierung nicht anerkannt. Zum Dalai Lama bestehen Kontakte in dessen Eigenschaft als religiöser Führer (vgl. auch Antwort zu Frage 8).

4. Welche diplomatischen Mittel setzt die Bundesregierung ein, um den Konflikt zwischen China und Tibet zu entschärfen?

Die Situation in Tibet wird in politischen Gesprächen mit der chinesischen Führung sowohl seitens der Bundesregierung als auch der EU angesprochen, so zuletzt durch Bundesminister Joseph Fischer bei seinen Gesprächen in Peking am 15. Juli 2004. In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem chinesischen Amtskollegen hat Bundesminister Joseph Fischer die chinesische Regierung auch öffentlich aufgefordert, eine friedliche Lösung der Tibetfrage im Dialog mit dem Dalai Lama zu suchen.

5. In welcher Form unterstützt die Bundesregierung den beginnenden Dialog zwischen den Vertretern des Dalai Lama und der Volksrepublik China vor dem Hintergrund, daß eine tibetische Delegation des Dalai Lama China seit September 2002 zweimal, das letzte Mal im Mai 2003 besucht hat? Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um weitere Besuche von tibetischer Seite zu ermöglichen? Wird dieser Dialog aktiv unterstützt und gefördert?

Die Bundesregierung hat im Verbund mit ihren EU-Partnern den beginnenden Dialog zwischen den Vertretern des Dalai Lama und der Volksrepublik (VR) China aus Anlaß der beiden Besuche im September 2002 sowie Mai 2003 in öffentlichen Erklärungen ausdrücklich begrüßt. In den politischen Gesprächen mit der chinesischen Führung bekräftigt die Bundesregierung, zuletzt Bundesminister Joseph Fischer bei seinen Gesprächen in Peking am 15. Juli 2004, daß die Tibet-Frage nur im Dialog zwischen der chinesischen Regierung und dem Dalai Lama selbst gelöst werden kann. Sie hat daher seit der ersten Reise im September 2002 die chinesische Seite zur Fortführung des Dialogs ermutigt. Die Bundesregierung hat sich auch öffentlich für die Fortsetzung des Dialogs eingesetzt. So hat die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt, Claudia Roth, sich im Mai 2004 ausdrücklich für die Fortsetzung der Kontakte zwischen den tibetischen Emissären und der chinesischen Regierung ausgesprochen.

6. Hat der Bundeskanzler im Gespräch mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao im Mai 2004 in Berlin die Fortführung des Dialogs zwischen den Tibetern und der chinesischen Regierung thematisiert?

Während des Besuchs des chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao wurden die Themen Tibet und Menschenrechte mehrfach von deutschen Gesprächspartnern angesprochen. Der Bundeskanzler vereinbarte mit dem chinesischen Ministerpräsidenten, den Rechtsstaatsdialog sowie Menschenrechtsdialog, der Tibet mit einbezieht, fortzusetzen und zu vertiefen. Der Bundesminister des Auswärtigen hat im Gespräch mit dem chinesischen Außenminister Li Zhaoxing, der den chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao begleitete, die schwierige Menschenrechtslage in der VR China angesprochen und sich für die Fortführung der Kontakte der chinesischen Regierung mit dem Dalai Lama eingesetzt.

7. Beabsichtigt die Bundesregierung ein Gespräch zwischen Bundeskanzler und dem Dalai Lama? Wenn nein, warum nicht?

Nein.

8. Ist es richtig, daß sich von Seiten der Bundesregierung bislang nur der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer, mit dem Dalai Lama in einem Restaurant in Berlin getroffen hat?

Der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer, hat sich mit dem Dalai Lama in Bonn und in Berlin in den Räumlichkeiten des Auswärtigen Amts getroffen. Das letzte Treffen fand am 30. Mai 2003 in Berlin statt.

9. Welche konkreten Schritte unternimmt die Bundesregierung, damit im bilateralen Dialog zwischen der EU und China die Situation in Tibet angesprochen wird?

Im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU setzen sich Vertreter der Bundesregierung in den zuständigen Koordinierungsgremien dafür ein, daß die Situation in Tibet in den jeweiligen Gesprächen der Vertreter der EU mit der VR China angesprochen wird.

10. Wie stellt sich die Bundesregierung zur Forderung des Europäischen Parlaments nach Einrichtung eines europäischen Koordinators für Tibet?

Die Frage eines EU-Sonderbeauftragten für Tibet wurde Ende des Jahres 2003 erneut im Rahmen der EU diskutiert. Nach sorgfältiger Analyse hat die EU davon Abstand genommen, einen solchen Sonderbeauftragten einzusetzen, da dies den vorsichtigen Annäherungsprozeß zwischen den Vertretern des Dalai Lama und der Regierung in Peking zum jetzigen Zeitpunkt ungünstig beeinflussen könnte.

11. Sind der Bundesregierung nähere Umstände über die Entführung des Panchen Lama (Gedhun Choekyi Nyima) durch die chinesischen Behörden bekannt? Wenn ja, sieht die Bundesregierung ihrerseits Handlungsbedarf und wie will sie diesen gegebenenfalls nutzen?

Die Bundesregierung bemüht sich seit Jahren, das Schicksal des Gedhun Choekyi Nyima aufzuklären. Wiederholte Forderungen der Europäischen Union und zahlreicher Staaten nach einem Zusammentreffen mit ihm werden von der VR China stets mit der Begründung abgelehnt, daß Gedhun Choekyi Nyima nicht die "Reinkarnation des Panchen Lama", sondern ein "normales Kind wie andere Kinder in China" sei, das bei guter Gesundheit sei und ein normales, glückliches Leben führe. Seine Eltern wünschten keine Störung von außen für ihr und des Kindes Leben.

12. Wann und von wem wurde das Schicksal des Panchen Lama das letzte Mal von der Bundesregierung gegenüber der chinesischen Regierung zur Sprache gebracht?

Das Schicksal von Gedhun Choekyi Nyima wird regelmäßig von der Bundesregierung sowie ihren EU-Partnern gegenüber der chinesischen Regierung angesprochen.

13. Hat sich die Bundesregierung bei der chinesischen Regierung dafür eingesetzt, daß die Erlaubnis zum Besuch eines internationalen Kindergutachters beim elften Panchen Lama erteilt wird?

Die Bundesregierung bemüht sich seit Jahren - im Zusammenwirken mit ihren europäischen und weiteren Partnern - um die Möglichkeit, sich von dem Wohlergehen des Gedhun Choekyi Nyima überzeugen zu können.

14. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, daß chinesische Behörden die Bevölkerung in den Distrikten Kardze und Lithang mit der Beschlagnahme ihres Grundbesitzes bedroht haben, wenn sie die Porträts des Dalai Lama aufhängen?

Die ländlichen Gebiete Kardze und Lithang liegen in Sichuan (nicht in der Autonomen Region Tibet (TAR)). Die o.g. Information entstammt einer Mitteilung des World Tibetan Network vom 14. November 2003 und wurde auch vom Tibetan Centre for Human Rights and Democracy, dem Tibet Council, der Free Tibet Campaign und The International Campaign for Tibet verbreitet. Auslöser für die Drohung der chinesischen Behörden soll der Fund einer tibetischen Fahne gewesen sein, die an einem Fernsehmast angebracht war. Daraufhin hätten die Behörden eine "Razzia" gegen die Unterstützer "separatistischer Bewegungen" ausgerufen und sollen auch die Herausgabe aller Dalai-Lama-Bilder verlangt haben. Als dieser Forderung nicht Folge geleistet wurde, soll mit der Konfiszierung der Häuser gedroht worden sein, in denen sich Bilder des Dalai Lama befänden. Die Bundesregierung hält diese Informationen für plausibel.

Nach Artikel 36 der chinesischen Verfassung wird die Glaubensfreiheit zwar grundsätzlich garantiert, jedoch nicht ohne Einschränkungen: "Der Staat schützt normale religiöse Tätigkeiten. Niemand darf eine Religion dazu benutzen, Aktivitäten durchzuführen, welche die öffentliche Ordnung stören, die körperliche Gesundheit von Bürgern schädigen oder das Erziehungssystem des Staates beeinträchtigen. Die religiösen Gemeinschaften und Angelegenheiten dürfen von keiner ausländischen Kraft beherrscht werden." Religiöse Aktivitäten dürfen demnach nicht der Regierungspolitik zuwiderlaufen oder die staatliche Einheit in Frage stellen. Der private Besitz von Bildern des Dalai Lama ist zwar nicht strafbar, jedes öffentlich zur Schau gestellte Bildnis wird jedoch von den chinesischen Behörden als eine Proklamation für die Unabhängigkeit Tibets interpretiert, gilt als staatsgefährdend und kann mit hohen Strafen geahndet werden. Das Hissen der tibetischen Fahne auf einem Fernsehturm war aus chinesischer Sicht eine strafbare Handlung, da es ein Bekenntnis zur Unabhängigkeit der TAR sowie zu "Großtibet" (dazu gehören neben Sichuan auch die Nachbarprovinzen Qinghai, Gansu und Yunnan) darstellte. Gegen Unabhängigkeitsbestrebungen geht die chinesische Regierung hart vor. Es ist daher durchaus denkbar, daß die verantwortlichen Stellen in Sichuan sich zu scharfen Drohungen veranlaßt sahen. Es ist der Bundesregierung jedoch kein Fall bekannt, in dem tatsächlich Grundbesitz konfisziert wurde. Allerdings gibt es regelmäßig hohe Haftstrafen für als "separatistisch" geltende Gläubige.

15. Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung konkret, um die Vollstreckung des gegen Tenzin Delek Rinpoche ohne rechtsstaatliches Verfahren ergangenen Todesurteils zu verhindern? Mit welchen Maßnahmen wirkt sie auf eine Freilassung von Tenzin Delek Rinpoche hin?

Die Bundesregierung und alle EU-Partner sowie etliche weitere Staaten haben sich seit seiner Verhaftung am 7. April 2002 beständig für Tenzin Delek Rinpoche eingesetzt und sprechen seinen Fall gegenüber chinesischen Gesprächspartnern an. Mehrere EU-Demarchen in Peking wurden durch deutsche Initiativen angestoßen. Die Bundesregierung hat stets ihr Bedauern und ihre tiefe Enttäuschung darüber betont, daß die Strafe gegen Tenzin Delek Rinpoche trotz internationaler Bedenken hinsichtlich mangelnder Transparenz und Fairneß des Verfahrens bestätigt und ohne Überprüfung durch den Obersten Volksgerichtshof in Peking aufrechterhalten wurde.

16. Bei welchen Gesprächen hat wer innerhalb der Bundesregierung bei wem innerhalb der chinesischen Regierung den Fall Tenzin Delek Rinpoche erwähnt, und in welchen Gesprächen wurde der Fall detailliert erörtert? Was hat die chinesische Regierung entgegnet?

Die Bundesregierung und alle EU-Partner sowie etliche weitere Staaten haben sich seit seiner Verhaftung am 7. April 2002 beständig für Tenzin Delek Rinpoche eingesetzt und sprechen seinen Fall regelmäßig gegenüber chinesischen Gesprächspartnern an. Er wurde ausführlich beim bilateralen Menschenrechtsdialog zwischen der Bundesregierung und der chinesischen Regierung am 25. Mai 2004 von der Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt, Claudia Roth, angesprochen. Ein EU-Seminar zu Menschenrechtsfragen am 29. Juni 2004 in Peking wurde von der deutschen Vertreterin genutzt, um den Fall beispielhaft für die Probleme der Rechtsprechung in der VR China darzustellen.

Nach Auskunft der chinesischen Regierung ist Tenzin Delek Rinpoche am 2. Dezember 2002 wegen eines Sprengstoffattentates sowie Aufwiegelung zur Abspaltung vom Staat in erster Instanz zum Tode mit 2-jähriger Bewährungsfrist verurteilt worden. Die politischen Rechte wurden ihm auf Lebenszeit entzogen. Am 26. Januar 2003 wurde das Urteil, gegen das Tenzin Delek Rinpoche Berufung eingelegt hatte, in zweiter Instanz bestätigt. Das chinesische Außenministerium verweist darauf, daß die Berufung nach einem legalen Verfahren abgelehnt worden sei. Das Urteil sei bis zum Dezember 2004 "suspendiert" und könne bei guter Führung in lebenslängliche Haft umgewandelt werden. Diese Antwort hat die Bundesregierung nicht überzeugt. Sie hat die zuständigen chinesischen Stellen erneut gebeten, das Verfahren gegen Tenzin Delek Rinpoche unter Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze zu überprüfen.

17. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über weitere im Zusammenhang mit Tenzin Deleks Inhaftierung verhafteten und noch im Gefängnis befindliche Tibeter bzw. Tibeterinnen?

Die Bundesregierung wie auch ihre europäischen Partner haben sich bei mehreren Gelegenheiten nach dem Schicksal der im Zusammenhang mit Tenzin Deleks Inhaftierung verhafteten und noch im Gefängnis befindlichen Tibeter bzw. Tibeterinnen erkundigt.

Nach Informationen aus NGO-Berichten sollen zeitweilig mindestens 60 Personen festgenommen und befragt worden sein. Sie seien einige Tage bis zu mehreren Monaten gefangen gehalten worden. Einige sollen mit dem Mittel der Administrativhaft zu einem Jahr Umerziehung durch Arbeit verurteilt worden sein. Nach den letzten Erkenntnissen, die auf dem Bericht von Human Rights Watch (Trials of a Tibetan Monk: The Case of Tenzin Delek) vom Februar 2004 beruhen, sollen sich noch zwei Tibeter (der Mönch Tashi Phuntsog in Dartsedo sowie der Unternehmer und ehemalige Mönch Taphel in Ngawa) im Zusammenhang mit der Verhaftung Tenzin Deleks in Haft befinden.

18. Wurden beim Menschenrechtsdialog des Auswärtigen Amtes am 25. Mai 2004 Einzelfälle aus Tibet angesprochen, und wenn ja, wie war das Feedback der chinesischen Seite und wurden konkrete Zusagen von dieser unternommen?

Beim Menschenrechtsdialog des Auswärtigen Amts am 25. Mai 2004 wurden Einzelfälle aus Tibet angesprochen (siehe hierzu auch Antwort auf Frage 16). Die chinesische Seite nahm zu den angesprochenen Fällen Stellung, allerdings blieben bei den Stellungnahmen einige Fragen offen, so daß das Auswärtige Amt Rückfragen stellen mußte. Zu den angesprochenen Einzelfällen kann sich die Bundesregierung im Interesse der Betroffenen nicht näher äußern.

19. Wird die spezielle Situation Tibets im Rahmen des Rechtsstaatsdialogs zwischen der Bundesregierung und der chinesischen Regierung thematisiert?

Tibet wird im Rahmen des Menschenrechtsdialogs angesprochen.

20. Wie verhält sich die Bundesregierung gegenüber Nepal in Bezug darauf, daß weiterhin tibetische Flüchtlinge abgeschoben werden, wohl wissend, daß ihnen in ihrer Heimat eine Gefangennahme droht?

Die Situation tibetischer Flüchtlinge in Nepal wird von der Bundesregierung aufmerksam verfolgt. Die Deutsche Botschaft in Nepal steht in ständigem Kontakt mit dem zuständigen UNHCR-Büro (UNHCR = United Nations High Commissioner for Refugees), mit Nichtregierungsorganisationen sowie mit den in der Flüchtlingsfrage engagierten Botschaften der USA, Großbritanniens und Frankreichs. In Nepal, das nicht Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention ist, haben tibetische Flüchtlinge kein Bleiberecht. Völkerrechtlich sind die Einflußmöglichkeiten auf Nepal deshalb sehr begrenzt.

Seit der Abschiebung von 18 in Nepal inhaftierten Tibet-Flüchtlingen am 31. Mai 2003, die auf Grund ihrer Einmaligkeit internationales Aufsehen erregte, sind die nepalesischen Behörden zu dem vorher üblichen Verfahren zurückgekehrt und haben zugesichert, dies auch in Zukunft weiter anzuwenden. Dies bedeutet in der Praxis, daß alle von den Behörden in Nepal aufgegriffenen tibetischen Flüchtlinge zunächst dem UNHCR-Büro in Kathmandu überstellt und von dort nach Indien weitergeleitet werden. Diese Zusicherung wird nach Kenntnis der Bundesregierung auch weitestgehend eingehalten, abgesehen von einigen Fällen mit kriminellem Hintergrund (Schmuggel, Drogenhandel).

21. Wie behandelt die Bundesregierung tibetische Asylsuchende in Deutschland?

Tibetische Asylbewerber durchlaufen das übliche Anerkennungsverfahren. Dabei werden Tibeter als Staatsangehörige der VR China beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) nicht gesondert statistisch erfaßt. Konkrete Angaben zur Anzahl der Asylanträge von Tibetern sind daher nicht verfügbar. Nach einer aktuellen Abfrage bei zuständigen Einzelentscheidern des Bundesamts gibt es kaum tibetische Asylbewerber in Deutschland.

22. Ist es zutreffend, daß die Bundesregierung die Auffassung vertritt, daß Tibeter, die im Ausland einen Asylantrag stellen, bei Rückkehr nach China nicht mit einer Bestrafung rechnen müssen? Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, daß tibetische Flüchtlinge wegen illegalen Grenzübertritts als politische Straftäter eingestuft und besonders streng bestraft werden?

Soweit allein gegen Ausreise- bzw. Paßbestimmungen verstoßen und im Bundesgebiet ein Asylantrag gestellt wurde, ohne daß im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten, ist nach Kenntnis der Bundesregierung bei einer Rückkehr von Tibetern nach China grundsätzlich nicht mit asylerheblichen administrativen oder strafrechtlichen Maßnahmen zu rechnen. Hierbei hängt es vielmehr davon ab, inwieweit die konkreten Personen z.B. durch eventuelle Aktivitäten als Gefahr für die Regierung bzw. die kommunistische Partei empfunden werden. Der Bundesregierung ist bekannt, daß 18 Flüchtlinge, die im letzten Jahr von Tibet nach Nepal geflüchtet und von den nepalesischen Behörden nach China zurückgebracht wurden (s. h. auch Frage 20), zunächst vorübergehend in chinesischer Haft waren. Als Grund der Verhaftung wurde offiziell "illegaler Grenzübertritt" (ohne notwendige Papiere) genannt. Nach Auskunft chinesischer Behörden sind die Betroffenen mittlerweile wieder auf freiem Fuß. NGO's berichten jedoch über gravierende Repressalien und Folter während der Haft in chinesischen Gefängnissen.

23. Sieht die Bundesregierung Chancen, die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2008 in Peking zu nutzen, um Druck auf die chinesische Regierung zur Verbesserung der Menschenrechtslage in Tibet auszuüben?

Die Bundesregierung setzt sich kontinuierlich für die Verbesserung der Menschenrechtslage in Tibet ein.

Quelle: Brief des Abgeordneten Harald Leibrecht an die IGFM Gruppe München vom 3.8.04